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Tiefgang

Die Grünen haben keine klare Strategie im Umgang mit der Krise

Gemessen an ihren Ansprüchen sind die Grünen in ihrer tiefsten Krise seit den frühen Neunzigern. Es gehe immerhin nicht um die Existenz, halten führende Grüne dagegen. Immerhin aber um die kulturelle Vormachtstellung, die die Grünen lange sicher glaubten. Um den Traum Robert Habecks, nicht nur die Partei, sondern auch große Teile der Bevölkerung hinter sich zu versammeln. Den Machtkampf hat Habeck gegen Annalena Baerbock gewonnen, nun ist er in der Verantwortung, die Partei zu führen.

Sechs Wahlen haben die Grünen in den vergangenen zwei Jahren verloren, sie sind aus fünf Landesregierungen geflogen. Vier Beobachtungen zur Ratlosigkeit der Partei.

Hört man dem Wirtschaftsminister und Vizekanzler in diesen Tagen zu, wirkt es, als habe er die politischen Ereignisse in der Bundesrepublik in den vergangenen zwei Jahre nicht entscheidend mitgeprägt. Neulich, im Bayerischen Rundfunk, sagte Habeck, was in den USA gelungen sei, auf einer Seite des politischen Spektrums einen „Aufbruch, eine Fröhlichkeit“ zu schaffen, könne auch in Deutschland gelingen, nachdem es drei Jahre fast „nur schlechte Nachrichten“ gegeben habe. Er zählte auf: Krieg, Tod, Inflation, Energiepreise.

Er ließ aus (in chronologischer Reihenfolge und seiner Verantwortung): Die Gasumlage, die Verbraucher verunsicherte, das Gezerre um den Streckbetrieb der Atomkraftwerke, das Olaf Scholz durch ein Verweis auf seine Richtlinienkompetenz beenden musste, dann das Heizungsgesetz, das Habeck zum Symbol einer ideologisierten Politik werden ließ. Er, der sich gern als Versöhner inszenieren will, ist darüber zu einer Reizfigur für viele Menschen geworden, die sich genau da sehen, wo Habeck seine Wähler gern hätte: in der Mitte.

Die Zeit der Krisen und Erschütterungen, sagte Habeck auf dem Parteitag der Grünen im vergangenen Jahr (er nannte sie „die gewendete Zeit“), würden die Grünen nur bestehen, wenn „wir uns auf die Welt einlassen, wie sie ist“. Die Bereitschaft aber zuzugeben, wie groß die Fehler der vergangenen Jahre insbesondere von Habeck für das Ansehen der Grünen in der Bevölkerung waren, ist nicht sonderlich hoch.

Zuletzt sagte Habeck, er sei mit dem Heizungsgesetz „zu weit gegangen“, fügte aber sofort an, dass es ein „Test“ gewesen sei, inwieweit die Gesellschaft Klimaschutz mittrüge, wenn er konkret würde. Dem mag man zustimmen oder nicht. Viel Empathie für die ausgelöste Verunsicherung schwingt aber nicht mit. Parteichef Omid Nouripour sagte gestern, Habeck habe „alles Notwendige über das Heizungsgesetz gesagt“.

Habecks Konzept, auf die Misere zu reagieren, scheint sich nicht groß von dem zu unterscheiden, was er während des Höhenflugs entwickelt hatte: Die Grünen als Erben von Angela Merkel in der Mitte zu positionieren. Er hat es kaum an die Ereignisse und neue Realität angepasst. Politik, sagte Habeck auf dem Parteitag vor einem Jahr, sei „das Übersetzen von erkannten Notwendigkeiten in gesellschaftliche Möglichkeiten“. Er wolle die Möglichkeiten der Grünen erweitern. Nur wie? Dem Bayerischen Rundfunk sagte er, er wolle die Grünen als Partei aus der Mitte heraus positionieren, die das „Vakuum nach Angela Merkel nicht einfach leer lässt, sondern dahin geht“.

Eine Idee aus der Partei: Die Grünen haben im Osten verloren. Vielleicht den Osten verloren. Hörten sie auf, Rücksicht auf Wählerinnen und Wähler zu nehmen, die sie ohnehin kaum noch erreichen können, könnte das ihnen Spielräume vor allem in Westdeutschland eröffnen.

Etwas verklausuliert formulierte das Parteichef Nouripour auf der Pressekonferenz: Menschen im Land seien aufgeschreckt, Fachkräfte sagten wegen dem Rechtsruck Jobs ab, Menschen mit Migrationshintergrund seien verunsichert, genau wie Menschen, denen Klimaschutz wichtig sei. „Wir wollen die Hand reichen, all diesen Leuten“, sagte Nouripour. Eine Fokussierung auf den Westen könnte die Strategie sein. Kernklientel plus X. Die Idee aber von Habeck, das Land mit sich selbst und ihm zu versöhnen, müsste er dafür wohl aufgeben.