Wie kann sich die Demokratie resilienter aufstellen?
In Sachsen ist die AfD knapp an der Sperrminorität vorbeigeschrammt, in Thüringen hat sie sie erreicht und bei der Landtagswahl in Brandenburg am kommenden Sonntag besteht erneut die Gefahr, dass es so weit kommen könnte. Verfügt sie einmal über die Sperrminorität, kann die AfD Einfluss nehmen auf politische Entscheidungen. Sie muss dafür nicht erst regieren.
Fachleute wie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Verfassungsblogs warnen allerdings schon länger davor, was passieren könnte, wenn autoritäre Kräfte in Regierungsverantwortung kommen. Sie könnten, so die Befürchtung, die Institutionen von Demokratie und Rechtsstaat aushöhlen und müssten dabei nicht einmal unbedingt gegen geltendes Recht verstoßen. Die große Frage: Wie beugt man dem vor?
Maximilian Steinbeis, Jurist und Gründer des Verfassungsblogs, hat mit dem sogenannten Thüringen-Projekt schon einmal solche Was-Wäre-Wenn-Szenarien durchgespielt, sich also in dem Bundesland damit beschäftigt, was passieren könnte, wenn autoritäre Kräfte an die Macht kommen. Für sein nächstes Vorhaben will Steinbeis den Bund, die weiteren Länder und die Interaktion der Ebenen in den Blick nehmen. „Projekt Bundesrepublik“ heißt das Ganze. Sein Ziel: „Die Resilienz der Institutionen stärken gegenüber den Szenarien, die auf sie zukommen.“ Oder kurz: „Besser vorbereitet sein.“ Dabei meint er nicht nur die Institutionen im engeren Sinn, die Ministerien und Gerichte, sondern auch die zivilgesellschaftlichen Bereiche. Auch da brauche es „mehr Vernetzung, mehr Mobilisierung“, sagt Steinbeis.
Wie er und sein Team dabei vorgehen? „Zentral wird sein, dass wir wieder versuchen, mit so vielen Leuten wie möglich aus den Institutionen zu reden und mit ihnen zusammen Szenarien zu entwickeln“, sagt Steinbeis. Finanziert werden soll das Projekt über eine „breite gesellschaftliche Unterstützung“. Die Crowdfunding-Kampagne läuft bereits. „Wenn alles gut geht, können wir zum Jahreswechsel mit dem neuen Projekt starten.“
Was die Bundesebene angeht, sieht er in Sachen Resilienz derzeit zwei Themen im Vordergrund: Erstens, den Schutz des Bundesverfassungsgerichts, an dem aber gerade gearbeitet wird. Und, zweitens, das Wahlrecht. Im Grundgesetz sind nämlich lediglich die Wahlrechtsgrundsätze festgeschrieben, nicht aber das Wahlsystem. Steinbeis warnt hier davor, mit den Prinzipien des personalisierten Verhältniswahlrechts zu brechen, etwa durch die Einführung des Grabenwahlrechts. Vorschläge aus der Union dafür gab es bereits.
Beim Grabenwahlrecht würde ein Teil der Mandate über die Wahlkreise vergeben, der andere entsprechend dem Zweitstimmenergebnis über Listen, beides aber unabhängig voneinander, eine Verrechnung der Stimmen gibt es nicht. „Das wäre ein Systembruch”, sagt Steinbeis. In der Theorie wäre es möglich damit ein Wahlrecht nach dem Vorbild Viktor Orbáns zu entwickeln.
Das ungarische Wahlrecht führe dazu, dass die relativ stärkste Partei viel mehr Sitze im Parlament bekomme, als ihr im Verhältnis zu ihren Stimmen zustünden. „Das ist der Weg, auf dem Orbán regelmäßig zu seiner Zweidrittelmehrheit kommt.“ Das Grundgesetz, so Steinbeis, sei relativ schwach gegen solche Manipulationen geschützt, anders als viele Landesverfassungen. In Thüringen etwa regelt Artikel 49 der Verfassung, dass der Landtag „nach den Grundsätzen einer mit der Personenwahl verbundenen Verhältniswahl gewählt“ wird. „Das würde ein manipulatives Grabenwahlrecht verhindern“, sagt Steinbeis.
Der parlamentarische Geschäftsführer der SPD, Johannes Fechner, sagt: „Das haben wir schon beraten.“ Sowohl in der Wahlrechtskommission als auch bei den letzten Beratungen über das Wahlrecht sei darüber gesprochen worden. Dafür bräuchte es aber die Union. „Und in Sachen Wahlrecht ist mit der Union in dieser Wahlperiode nichts mehr zu machen.“ Tim Frehler