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Jung, rechts und der Faktor Tiktok

Wiebke und Oliver stehen etwas am Rand auf dem Platz der Völkerfreundschaft in Erfurt. Es ist Mitte August, Wahlkampf. Gerade hat hier der AfD-Spitzenkandidat Björn Höcke eine Rede gehalten. Die beiden Zuhörer sind Mitte zwanzig, arbeiten im Krankenhaus, wie sie sagen. Sie wollten Höcke mal live erleben, deswegen seien sie hier. Wiebke trägt ein Buch mit sich herum. Es ist das von Björn Höcke, die junge Frau hat es sich heute von ihm signieren lassen. Wohlgemerkt von einem Mann, den man per Gerichtsbeschluss einen „Faschisten“ nennen darf. Das stört sie nicht, denn Wiebke sagt: „Die AfD ist nicht rassistisch.“

Die beiden sind nicht die einzigen jungen Höcke-Fans an diesem Nachmittag: Als er nach seiner Rede vom Podium steigt, ist er umringt von Jugendlichen, die ein Selfie mit ihm wollen. Anders als einen Tag zuvor beim Wahlkampfauftakt des BSW in Eisenach, zu dem vor allem Ältere kamen, ist das Publikum bei der AfD im Erfurter Norden durchaus gemischt. Von jung bis alt sind alle Altersgruppen vertreten.

Der Blick in die Zahlen bestätigt diesen Eindruck: Laut Infratest dimap kam die AfD bei den 18- bis 24-Jährigen in Thüringen auf 38 Prozent, in Sachsen auf 31. Am schlechtesten schnitt sie in beiden Ländern bei den Über-70-Jährigen ab. Allerdings zeigen die Zahlen auch: Die AfD punktet zwar bei jungen Wählern, sie ist dort aber – wenn überhaupt – nur unwesentlich stärker als in anderen Altersgruppen. Auffällig ist vielmehr der Trend: Sowohl in Sachsen als auch in Thüringen legte die AfD bei keiner Altersgruppe so stark zu wie bei der jüngsten. Woran liegt das?

Schnell lautet die Antwort: Tiktok. Die Politikwissenschaftlerin Anna-Sophie Heinze von der Universität Trier sagt jedoch: Das sei nur ein Teil der Erklärung. Klar, die AfD besitze auf der Plattform eine enorme Reichweite. „Das ist ein Problem“, sagt Heinze. „Aber es ist nicht die Ursache, warum viele junge Menschen die AfD wählen.“

Die Gründe sind vielfältiger. Und sie liegen tiefer. Heinze führt das auch auf die fortschreitende Normalisierung der AfD und ihrer rechtsextremistischen Inhalte zurück – auch bei Menschen jüngeren Alters. „Dass sich Jugendliche in der Schule hinstellen und mit rassistischen Aussagen provozieren, das gab es früher schon“, sagt sie. „Aber jetzt machen sie das mit großer Überzeugung.“ Indem sie etwa behaupteten, die AfD sei die einzige demokratische Partei.

Die Politikwissenschaftlerin spricht von einer „neuen Jugendkultur“, die sich in manchen Teilen etabliert habe. Musik spiele da eine große Rolle, Kleidung, Ernährung, eine gewisse Form der Ästhetik. „Poppig“ nennt Heinze das. Die AfD, und vor allem ihre Jugendorganisation, die Junge Alternative (JA), wüssten das zu bedienen.

Sehen konnte man das zum Beispiel auf dem Parteitag in Essen. Am Stand der Jungen Alternative gibt es Wasser, wie man es in jedem Café finden könnte, versetzt unter anderem mit Zitronenscheiben. Die jungen Parteihelfer schenken es aber unter dem Label „Stolz-Limo“ aus, eine Anspielung auf den sogenannten „Stolzmonat“, einer Gegenkampagne zum Pride Month aus dem rechtsextremen Spektrum. Für die eher kraftsportaffinen gibt es am Stand der JA das „Defender Protein“, Proteinpulver, wie man es nutzt, um den Muskelaufbau zu unterstützen. Es sind Lifestyle-Produkte für den Alltag, mit rechtsextremem Anstrich.

Zu dieser Jugendkultur kommt die Leerstelle hinzu, auf die sie an manchen Orten trifft. Vor allem in ländlichen Räumen Ostdeutschlands, wo die Jugendsozialarbeit zurückgegangen sei und die etablierten Parteien ohnehin schwach seien, stoße die JA in eine Lücke, sagt Anna-Sophie Heinze. „Jungen Menschen bietet sie dort die Möglichkeit zum Austausch“, etwa bei Wanderungen oder anderen sozialen Veranstaltungen. Am wichtigsten sei dabei anfangs oft die soziale Komponente: „Man trifft Leute, hat Spaß – und erst später kommt die Ideologie dazu.“

Das Kalkül ist: Wer erst einmal in Kontakt kommt mit den extrem Rechten, vergisst ihre Gesinnung. JA-Chef Hannes Gnauck, der auch Beisitzer im Bundesvorstand der AfD ist, sagt, die Dämonisierung funktioniere nicht mehr. „Jeder, der sich mit uns fünf Minuten unterhält, der bleibt.“

Und das alles wirkt – vor allem bei jungen Menschen, die noch nicht an eine bestimmte Partei gebunden sind: „Wenn die merken, eine Partei spricht sie an, zeigt ihnen, dass sie ihr wichtig sind, kann das dazu führen, dass sie ihr Kreuz bei ihr machen“, sagt Anna-Sophie Heinze. Vor allem, wenn die Jugendlichen dabei auch noch das Gefühl hätten, die Partei passe mit ihrer Ästhetik, ihren Veranstaltungen und ihren Giveaways zu ihnen, vermittle ihnen das Gefühl „cool“ zu sein.

Ob man an diese Jugendlichen noch einmal herankommt? „Schwierig“, sagt Heinze. Vor allem, wenn ihr politisches und soziales Umfeld sehr von der AfD überzeugt sei.

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