Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben
Tiefgang

Die Grünen haben ein strategisches Dilemma in der Asylpolitik

Die Grünen stehen in der Migrationspolitik vor einem strategischen Dilemma. Sie wollen der Forderung der Union, Menschen an der Grenze zurückzuweisen, nicht zustimmen. Sie fürchten aber, dass Kritik daran gerade nicht en vogue sein könnte. Auf der Klausurtagung in Berlin klang das dann so: Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge warf der CDU vor, sie drohe in der Debatte über das Asylrecht „den Kompass zu verlieren“.

Grüner Kompass wäre demnach dies: „Mörder, Vergewaltiger, Terroristen haben jedes Recht auf Schutz verloren und müssen unser Land verlassen“, sagte Dröge. Trotzdem wolle ihre Partei klar die Position vertreten, dass Menschen, die ein Recht auf Schutz hätten, es in Deutschland auch bekommen.

Wie kaum eine andere Partei in Deutschland stehen die Grünen in der Asylpolitik dafür, Menschenrechten erste Priorität einzuräumen. Weil ihre Partner in der Ampel weitgehend schweigen, wirkt es so, als verträten die Grünen keine Position der Mitte, sondern linke, im Zweifel naive Vorstellungen in der Asylpolitik. So wollen sie als Bündnispartei eigentlich nicht dastehen.

Also versuchen es die Grünen mit einem Sicherheitspapier, das heute verabschiedet werden soll. In einer ersten Version der Innenpolitiker Irene Mihalic und Konstantin von Notz schlagen die beiden mobile Kontrollen an den Binnengrenzen vor. Gemeinsame Patrouillen mit anderen Grenzpolizeien sollen Migranten und Asylsuchende noch vor der deutschen Grenze aufhalten, damit Asylverfahren in einem anderen Land durchgeführt werden können und man die leidige Grenzmaßnahme vermeidet. Die Rechtsgrundlage dafür biete der neue Schengener Grenzkodex, Teil der europäischen Asylrechtsreform. Es klingt fast nach Zurückweisungen, hoffen Grüne, aber auch nach Zusammenarbeit. Für die Partei, die noch vor wenigen Jahren erklärte, es gebe keine Pull-Faktoren, ist es ein weiterer Schritt in Richtung einer härteren Asylpolitik.

Überhaupt haben manche Grüne in diesen Tagen das Gefühl, Öffentlichkeit, Medien und Politiker hätten die Diskussionen über das Asylrecht des vergangenen Jahres schon vergessen. Als habe die Partei sich nicht schon dazu durchgerungen, Verschärfungen auf europäischer Ebene mitzutragen. Die Reform, von der die schleswig-holsteinische Sozialministerin Aminata Touré sagte, es schmerze sie, enttäusche sie, dass ausgerechnet ihre Partei sie mittrage – die Reform, bei der eine Mehrheit im Rest Europas nicht gerade auf schleswig-holsteinische Befindlichkeiten wartete.

„Ich glaube, die systematische Zurückweisung von Schutzsuchenden durch Deutschland wäre das Ende von Schengen und des EU-Asylrechts“, sagte der Europaabgeordnete Erik Marquardt SZ Dossier. Er ist damit nicht allein, es gibt noch mehr Grüne, die die Vorschläge der Union von Zurückweisungen an der Grenze für absurd halten, für nicht praktikabel, rechtlich unzulässig. Sie befürchten das Ende der Freizügigkeit in der EU. „Wer die deutsche Grenze zu Polen, Österreich oder Frankreich dauerhaft schließt, bringt die Menschen in diesen Ländern gegen uns auf. Das stellt unser Europa grundsätzlich infrage“, sagte Fraktionsvize Andreas Audretsch SZ Dossier.

Die Union versuche, „so zu tun, als verhindere die Bundesregierung einfache Lösungen“, sagte Marquardt, das sei unredlich. Die Grünen warten nun ab. Die Unionsvorschläge werden vom Innenministerium geprüft, gut möglich, dass die Prüfung zum Ergebnis kommt, Zurückweisungen seien rechtlich nicht möglich. Und dann? Muss politisch entschieden werden.

Robert Habeck, Wirtschaftsminister und eher nicht als glühender Baerbock-Anhänger bekannt, sagte auf der Klausur, es sei ihr zu verdanken, dass die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems gelungen sei, das sei die Antwort auf die Fragen dieser Tage. Sie dürfe nicht gefährdet werden.

Habeck deutete auch eine mögliche politische Konsequenz der vergangenen Tage an: Die EU-Beschlüsse wolle er noch in diesem Jahr in nationales Recht umsetzen. Darunter fallen Leistungskürzungen, das sogenannte Flughafenverfahren könnte schneller für deutlich mehr Schutzsuchende und Migranten gelten. Deutschland, so seine Vorstellung, hätte dann eine Vorreiterrolle bei der Umsetzung der Asylrechtsverschärfung.