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Tiefgang

Kretschmers Strategie

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Roman Deininger

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Würde sich Michael Kretschmer in den freundlichen Gedankenaustausch der Herren Söder und Wüst zu einer möglichen Unions-Koalition mit den Grünen einmischen, wäre vollkommen klar, auf welcher Seite. Drei Monate lang habe ich den sächsischen Ministerpräsidenten für ein großes SZ-Porträt in seinem Landtagswahlkampf begleitet – und fast überall habe ich von Kretschmer ebenso uncharmante wie ungenierte Variationen eines Satzes gehört: „Ich will die Grünen loswerden.“

Seit vier Jahren regieren Kretschmer und seine CDU in Dresden in einer Kenia-Koalition mit Grünen und SPD, nach allgemeinem Dafürhalten gar nicht so schlecht. Trotzdem kann inzwischen nur noch einer der beiden Partner auf den guten Willen des Ministerpräsidenten zählen. Die SPD, sagt Kretschmer einmal beim Gespräch auf der Rückbank seines Wahlkampf-Kombis, habe „noch den Ansatz einer Volkspartei“. Das imponiere ihm. „Ihr ist es nicht egal, wenn die Leute sich abwenden. Die SPD hat das Verständnis, für alle da zu sein.“

Kretschmers Verständnis ist es, dass den Grünen dieses Verständnis komplett abgeht. Sie wollten nur für Berlin-Mitte da sein oder vielleicht noch für Leipzig-Connewitz („alternativ“ nennen sächsische Christdemokraten den Stadtteil und meinen das nicht als Kompliment). Die Grünen, sagt Kretschmer, hätten die „historische Aufgabe“ gehabt, Ökonomie und Ökologie zu versöhnen: „Das ist ihnen ganz offensichtlich nicht gelungen.“ Mit ihren „ideologischen Zielen“ und ihrer „Mikrosteuerung“ (#wärmepumpe) hätten sie „dieses Land gespalten“.

Nun gibt es sogar Parteifreunde aus der CDU, die sagen: Kretschmers ganzer Ernst könne das nicht sein, er sei ja privat ein Mensch, der sich mit seiner Familie um einen nachhaltigen Lebensstil bemühe. Zugleich bemüht er sich allerdings um einen Wahlsieg am 1. September – und da wäre zu viel Nähe zu den Grünen eindeutig hinderlich. Mit dieser Analyse jedenfalls scheint es Kretschmer sehr ernst zu sein.

Und was soll man sagen: Die Absage an die Grünen bringt ihm tatsächlich bei so gut wie jeder Kundgebung kräftigen Applaus ein. An der CDU-Basis herrscht maximale Grünen-Skepsis; bei manchen AfD-Wählern, die Kretschmer gern zurückholen würde in die Mitte, herrscht etwas, das man leider nur Grünen-Hass nennen kann.

Kretschmer gibt in diesem Wahlkampf bisweilen selbst den Wutbürger mit Mega-Grant auf die Ampel. Doch parallel wirbt er auch um Wählerinnen und Wähler links der Mitte – genau wie bei der Landtagswahl 2019 bietet er sich ihnen als Ein-Mann-Bollwerk gegen die AfD an. Ob diese akrobatische Übung gutgehen kann? In den Umfragen wechselten sich CDU und AfD zuletzt in der Führung ab.

Am Donnerstag sah eine neue Forsa-Erhebung die CDU mit 31 zu 30 Prozent vor der AfD. Die SPD kam auf sieben, die Grünen auf sechs Prozent; beide können sich ihres Einzugs in den Landtag nicht sicher sein. Mit wem will Kretschmer dann koalieren? Die AfD hat er mit aller Vehemenz ausgeschlossen. Eine stabile Mehrheit hätte er auf Basis der Umfragen nur mit dem BSW.

Kretschmer hat Sahra Wagenknecht gerade für den Versuch attackiert, vorab aus Berlin Bedingungen für eine Zusammenarbeit in Dresden zu stellen. Das erinnere ihn ungut an „die Zeiten vom Politbüro“. Dennoch betrachten viele in der sächsischen CDU das BSW als unverhoffte Himmelsgabe, die es ihnen erlauben könnte, sich aus den Fesseln der Grünen zu lösen. Welche neuen Fesseln ihnen eine Koalition mit dem BSW anlegen würde? Darüber denken sie offenbar lieber nicht zu viel nach.