Wagenknecht, Wolf und die Gretchenfrage
Als Katja Wolf am Montag in Eisenach die Bühne betritt, blickt sie auf ihre Stadt, auf ihre Leute. Hier war sie knapp zwölf Jahre lang Oberbürgermeisterin, bevor sie Spitzenkandidatin des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) in Thüringen wurde. „Das ist die Stadt, in der meine Kinder geboren sind“, ruft sie den Leuten auf dem Markt zu, die am Montagnachmittag zum Wahlkampfauftakt des BSW gekommen sind. Moderator Steffen Quasebarth, früher Moderator beim MDR, inzwischen Pressesprecher des BSW und auf Listenplatz drei, wird sie gleich fragen, welche Geschichte hinter ihrem Austritt bei der Linken und ihrem Eintritt beim BSW steckt.
Das Zusammenspiel der beiden wirkt fein durchgeplant, es sollen bloß keine Fehler passieren. Im Wahlkampf ist das vielleicht die wichtigste Regel. Und wenn sie sich daran halten beim BSW, kann es Katja Wolf in ein Ministeramt spülen, vielleicht sogar an die Spitze. Seit kurzem schleppt das BSW aber eine nervige Debatte mit sich herum: Wie hält es die Partei mit der AfD?
Aufschwung bekam die Debatte auch durch Aussagen aus den Reihen des BSW selbst, auch weil diese Raum lassen für Interpretation: So lehnte Katja Wolf in der Zeitung die Welt eine Zusammenarbeit mit der AfD zwar ab, plädierte aber für einen pragmatischeren Umgang mit der Partei, die in Thüringen als gesichert rechtsextrem gilt. Im Gespräch mit Journalistinnen und Journalisten im Anschluss an die Kundgebung in Eisenach sagte Wolf am Montag, die Position des BSW sei absolut klar: „Keine Koalitionen, keine Tolerierung, keine Zusammenarbeit.“ Dabei hätte sie es belassen können. Sie schob aber noch einen Nachsatz hinterher: „Aber eine Auseinandersetzung im inhaltlichen Bereich.“
Was bedeutet das? Wolf sagt: Man schaue sich die Vorschläge der AfD an und sollte der überraschende Moment eintreffen, bei dem man sage, da sei etwas Vernünftiges dabei, „dann kann man das auch offen kommunizieren“. Das „reflexartige Beißen“, wie Wolf es nennt, eine Idee herabzuqualifizieren, nur weil sie von jemandem kommt, der einem politisch nicht gefalle, „das finde ich falsch“. Sie schlägt einen anderen Umgang vor: „Ich bin davon überzeugt, dass man sich inhaltlich stellen muss. Und das kann man mit Größe.“ Denn, so sagt sie, „das Spiel, so zu tun, als wären die Anträge Blödsinn, das Spiel ist gescheitert“.
Es sind diese Aussagen, die Angriffsfläche bieten. Dabei ist Wolf ja zum BSW gewechselt, um einen Ministerpräsidenten Höcke zu verhindern. Thüringens CDU-Chef Mario Voigt, dessen Partei im vergangenen Jahr selbst ein Gesetz mit der AfD beschlossen hatte, warf dem BSW vor, sich die Option einer Zusammenarbeit mit der AfD offenzuhalten. Auch Jens-Christian Wagner, Leiter der Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, kritisierte Wolf für ihre Aussagen im MDR. Fachleute raten ohnehin schon länger davon ab, vermeintlich harmlosen Anträgen der AfD, etwa auf kommunaler Ebene, zuzustimmen, weil sich die Partei dadurch normalisiere.
Warum also kein kategorisches Nein? Der Politikwissenschaftler Jan-Philipp Thomeczek von der Universität Potsdam weist auf die Zwickmühle hin, in der sich die Partei befindet. Die AfD habe in Thüringen eben sehr viel Macht. Wenn sich andere Parteien von ihr diktieren ließen, was sie machen dürfen und was nicht, dann werde der Gestaltungsspielraum immer kleiner. Sich nicht von der AfD in die Ecke drängen zu lassen, sei ja einer der Gründe gewesen, warum sich das BSW gegründet hat. „Und jetzt geht es dem BSW eben darum, sein eigenes Ding zu machen“, sagt Thomeczek. „Und wenn die AfD zufällig auch dafür ist, dann ist man beim BSW noch lange nicht dagegen.“
Oder um es in den Worten von Parteichefin Wagenknecht am Montag auszudrücken: „Wir finden, dass dieser hysterische Umgang mit der AfD der AfD am Ende nur hilft.“ Thomeczek hält es in letzter Konsequenz für möglich, dass dies auch im Fall einer Ministerpräsidentenwahl gilt. Heißt, dass das BSW von seiner Kandidatin auch dann nicht abrücken werde, wenn auch die AfD für sie stimmen würde. Das befürchten sie auch in anderen demokratischen Parteien. „Ich schließe gar nichts mehr aus“, sagte eine Thüringer SPD-Landtagsabgeordnete SZ Dossier. Eine Zusammenarbeit mit dem BSW halten sich SPD und CDU trotzdem offen.
Ob die Strategie des BSW am Ende ein Fehler ist oder nicht, und wie groß ihre Offenheit tatsächlich ist, wird sich erst am Wahltag zeigen. Tim Frehler