„Sollte ich jemals Bundeskanzler werden, wird Christian Lindner nicht Finanzminister“, sagte Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) gestern beim Bürgerdialog im Wirtschaftsministerium. Viel besser kann man die Stimmung in der Ampel nicht zusammenfassen. Bürgerinnen und Bürger konnten dem Vizekanzler nicht nur beim Sinnieren zuhören, sondern auch sein Büro besichtigen. Das Rote Telefon habe der Minister aber weggeräumt. „Nicht, dass Sie irgendwie im Weißen Haus anrufen“, sagte Habeck. Er selbst dürfte derzeit mehr mit Kanzleramt und Finanzministerium telefonieren.
Ob der Ampelstreit zu mehr Politikverdrossenheit führe? „Die Antwort ist natürlich ja“, sagte Habeck. „Am Ende bleibt da auch eine gewisse Ratlosigkeit, das muss ich einfach zugeben.“ Wenn eine Regierung untereinander immer streite, leide nunmal das Vertrauen. „Niemand ist sympathisch, wenn er streitet“, sagte er. Der Streit schade sogar dem wirtschaftlichen Aufschwung von Deutschland. Die Unruhe sei überall im Land zu greifen – und das wüssten alle, auch Lindner und Scholz. „Trotzdem ist man Teil von diesem ganzen Szenario“, sagte Habeck.
Habecks Milieutheorie: Es werde selten über Einigungen berichtet, niemand wolle „in jeweils seinem Milieu als Verlierer“ dastehen. „Es gibt eine starke Tendenz, möglichst erfolgreich zu sein, indem man das Erwartete vom eigenen Milieu möglichst laut stellt“, sagte Habeck. So sei man irgendwie auf die schiefe Bahn gekommen. „Eigentlich müssten die Spitzen eines Landes das alles wissen und sich dagegenstemmen“, sagte er. Aber das habe nicht geklappt und man müsse jetzt schauen, ob man einen neuen Anlauf schaffe. „Eine Chance haben wir noch, aber das ist dann bestimmt die letzte“, sagte Habeck.
Wider die Blasenbildung: Der Vizekanzler mache sich Sorgen, ob es immer gelinge, zu reden und Debatten zu führen. „Wenn eine Gesellschaft die Diskussionskultur miteinander verliert, dann ist das jedenfalls nicht gut“, sagte er. Soziale Medien würden Gleiches mit Gleichem zusammenschalten. Das sei bedenklich, denn man nehme nicht wahr, was um einen herum passiere. Deswegen müsse man als politische Parteien, Medien oder Gesellschaft Räume schaffen, „wo wir mit anderen Meinungen auch mal konfrontiert sind“, sagte Habeck. Im schlechtesten Fall würden Parteien zu „Maschinen der Selbstvergewisserung“.