„Wenn man abends Plakate aufhängt, ist das ein echtes Risiko“
In Sachsen und Thüringen sind die Sommerferien vorbei. Die Kinder sind zurück, die Eltern auch. Damit beginnt für die Wahlkämpfer die nächste Phase in einem Wahlkampf, dessen Bedeutung man wohl kaum überschätzen kann. Um ihren Leuten für die verbleibenden gut vier Wochen „das nötige Handwerkszeug“ mitzugeben, wie es auf der Website heißt, haben die Thüringer Grünen gestern und vorgestern zum Wahlkampfcamp nach Nordhausen geladen. Ein Wochenende lang übten sie, wie man an Haustüren klingelt, mit Wählern kommuniziert und heikle Situationen deeskaliert.
Vor ihnen und ihren Mitstreitern in Sachsen liegt ein Wahlkampf, der anders sein wird als andere, schon allein wegen der Stimmung. Im politischen Raum habe eine „Normalisierung von Gewalt“ stattgefunden, sagt Johannes Kiess, stellvertretender Leiter des Else-Frenkel-Brunswik-Instituts (EFBI) für Demokratieforschung in Leipzig. „Wenn man abends Plakate aufhängt, ist das ein echtes Risiko.“ Zudem fehle den demokratischen Parteien in beiden Bundesländern das politische Vorfeld, sagt Kiess. Organisationen der Zivilgesellschaft wie Kirchen oder Gewerkschaften seien deutlich schwächer verwurzelt als in anderen Bundesländern. „Und es fehlen ja nicht nur die Vereine, sondern auch die Leute.“ Gerade aus ländlichen Regionen seien viele junge Leute weggezogen.
Zum Beispiel: Die Grünen in Thüringen haben rund 1450 Mitglieder. Der Kreisverband München über 4000. Trotzdem wurde beim Wahlkampfcamp laut Einladung für den Haustürwahlkampf trainiert, für den besonders viele Helfer notwendig sind. Michael Kost, Landesgeschäftsführer und Pressesprecher, erwartet jedoch mehr als 300 Wahlkampfhelferinnen und -helfer, die aus anderen Landesverbänden zur Unterstützung anreisen. Hinzu kämen noch jene, die die einzelnen Kreisverbände über Partnerschaften ebenfalls aus anderen Bundesländern rekrutierten.
Die SPD Thüringen versucht das gar nicht erst. „Für Haustürwahlkampf haben wir nicht die Leute“, sagt Elisabeth Kaiser, Bundestagsabgeordnete für Gera, den Landkreis Greiz und das Altenburger Land. Viele Helfer hätten auch bereits die Kommunal- und Europawahl hinter sich, einige seien müde. Man setze daher vermehrt auf Flyer, Stände und Plakate. Auch die Genossen bekommen Hilfe aus anderen Ländern, „zum Beispiel aus Hessen, Bayern, aber auch Niedersachsen“, sagt Kaiser. In Sachsen springt ihnen sogar noch eine andere Partei zur Seite: Die pro-europäische Partei Volt wird im Wahlkampf dazu aufrufen, SPD zu wählen.
Kann das reichen, um den erwarteten Erfolg der AfD einzudämmen? Magdalena Hess, Aktivistin bei Fridays for Future, ist vor Kurzem von Berlin nach Dresden gezogen, um dort beim Wahlkampf mitzuhelfen und „Kampagnenfähigkeit mitzubringen“, wie sie sagt, insbesondere im digitalen Bereich und in den sozialen Medien. Einzelne Kandidatinnen und Kandidaten bewerbe sie nicht, sagt Hess, auch nicht eine einzelne Partei. Vielmehr gehe es ihr darum, eine Sperrminorität der AfD im Landtag – also ein Drittel der Abgeordneten – zu verhindern. Das wäre möglich, wenn die AfD auf gut 30 Prozent der Stimmen käme und SPD, Grüne und Linke den Einzug ins Parlament verpassten.
Das ist laut Umfragewerten in Sachsen nicht ausgeschlossen, in Thüringen müssen SPD und Grüne um den Einzug ins Landesparlament bangen. Ihre Aufgabe sieht Hess im sächsischen Landtagswahlkampf darin, „klarzumachen, was passiert, wenn Grüne, SPD und Linke nicht in den Landtag kommen“.
Die AfD gibt sich sorgen- und harmlos, lädt zu „Sommerfesten“ und „Familienfesten“ ein. In beiden Ländern wird sie als gesichert rechtsextremistisch eingestuft. Sie bewirbt ihre Veranstaltungen mit „Bier und Bratwurst“, man könne „einen schönen Nachmittag mit der ganzen Familie“ verbringen. Johannes Kiess vom EFBI sieht hinter diesen Veranstaltungen eine perfide Strategie: Denn eigentlich bestehe das Vorgehen der AfD aus Populismus und Konfrontation, auf diesen Festen spiele sie den Menschen aber „eine heile Welt“ vor, sagt Kiess. Sie inszeniere sich als Kümmerer-Partei, die sie in Wahrheit gar nicht sei. Tim Frehler