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Tiefgang

Macron bleibt als kreativer Zerstörer unvollendet

Die Aufregung hat sich gelegt in Frankreich, die Erleichterung ist den Herausforderungen der Realität gewichen und aus dem Schock ist Geschäftigkeit entstanden. Zeit, dass wir gemeinsam auf drei übersehene Trends schauen.

Erstens: Die französische Politik beginnt, sich nach altem Muster neu auszurichten. Jenseits der Schlagzeilen des Wahlabends – vom Aufschwung eines bis in extreme Weiten reichenden Linksbündnisses und dem schlechter als erwarteten Abschneiden der extremen Rechten – ist in den Tagen seither ein wiedererwachendes Selbstbewusstsein der rechten und linken Mitte zu beobachten. Die Regierungsbildung läuft auf ein gemäßigtes Bündnis hinaus, in dem – wenn man eine Beteiligung der extremen Linken verhindern will – die Konservativen eine Rolle spielen müssen.

Aufschwung gab es links und rechts der Mitte: Die Sozialisten entsenden mit 65 Abgeordneten nur geringfügig weniger in die Nationalversammlung als die Linksextremen von Jean-Luc Mélenchon und haben ihr Ergebnis mehr als verdoppelt. Frankreichs EVP-Partei Les Républicains (LR) verweigerte ihrem Vorsitzenden die Gefolgschaft hinein in ein Bündnis mit den Le Pens. 68 Mandate bedeuten eine leichte Steigerung. Die Partei schickt sich seit der Wahl an, wieder Lust auf Führung zu verströmen, nach 20 Jahren Opposition und Richtungskämpfen.

Zweitens: Das klassische Parteienspektrum ist nicht tot. Präsident Emmanuel Macrons zerstörerisches Werk an den alten Parteien ist also vielleicht nicht so unumkehrbar wie von seinen Fanboys begrüßt und von den Leidtragenden befürchtet. Macron tut sich schwer, das zuzugeben: „Niemand hat sie gewonnen“, schrieb er über die Wahl, eine Interpretation, die er exklusiv hat. Die alten politischen Eliten haben längst nicht mehr die Kommunikationshoheit, das hat der Wahlausgang mit den starken Rändern gezeigt.

Aber die Kraft reicht noch dafür, sich aufzulehnen. Zum inzwischen dritten Mal hat Frankreich Marine Le Pen im ersten Wahlgang einer Parlamentswahl Hoffnungen gemacht, um sie in der zweiten Runde recht brutal auf ihren Platz zu verweisen. Le Pens Ambitionen sind damit sicher nicht zu Ende. Für sie ist das Wahlergebnis eine Bestätigung, auf dem Vormarsch zu sein – der Rassemblement National (RN) kommt auf 143 Sitze in der Nationalversammlung; 88 waren es zuletzt, sechs nach der Wahl 2017.

Damit einher geht eine komfortablere finanzielle Lage – und für Marine Le Pens Ambitionen auf die Präsidentschaft 2027 wird es nicht verkehrt sein, dass ihr rechtes Wunderkind zurechtgestutzt wurde: Jordan Bardella sah sich als Premierminister und Mann der Zukunft, ist jetzt als Vorsitzender der Rechtsfraktion, der der RN im Europaparlament angehört, wieder mehr persönlicher Referent als Koadjutor mit dem Recht der Nachfolge.

Drittens ist die Gefahr des Scheiterns nicht gebannt. Dass die Wiedererfindung eines klassischeren Parteiensystems scheitert, ist eine realistische Option. Warum? Zum einen haben weder Sozialisten noch LR derzeit natürliche Führungsfiguren auf nationaler Ebene – das heißt, keine naheliegenden Präsidentschaftskandidaten für 2027. An Männern, die sich für solche halten, besteht wohlgemerkt kein Mangel, das gilt auch für das Macron-Lager: keine guten Voraussetzungen für Kompromiss und Koalition, für eine Stabilisierung und erfolgreiches Regieren.

Zum anderen ist die französische Wirtschaft zwar stark aus den Inflations- und Krisenjahren gekommen, zum Preis einer angespannten Haushaltslage. Der Spielraum ist begrenzt, auch dank eines gerade eingeleiteten EU-Verfahrens wegen eines nach dem Stabilitätspakt als übermäßig definierten Haushaltsdefizits. Ein Blick nach Deutschland reicht: Wenn es Chaos gibt und die vermeintlichen Träger der Stabilität sich zerstreiten, reicht es für Le Pen, sich zurückzulehnen und zu warten.

Und Macron? Ist durch viele Talente aufgefallen, aber nicht als Moderator, dafür ist er innenpolitisch zu geschwächt und institutionell zu mächtig. Was Frankreich bräuchte, sei ein Staatspräsident nach italienischem Vorbild, riet Enrico Letta diese Woche im Interview mit dem Magazin L'Express: Der frühere italienische Premierminister und heutige Präsident des Jacques Delors Instituts in Paris, ein intimer Kenner beider politischer Systeme, lieferte die Pointe gleich mit: Rat von einem Italiener, die Stabilität des Landes betreffend, haben die Franzosen auch lange nicht bekommen.