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Tiefgang

Wie führt man ein Telekommunikationsunternehmen im Krieg?

An Tag zwei nach der Befreiung von Cherson waren die Menschen wieder erreichbar. Auf dem größten Platz der Stadt hatte der Mobilfunkanbieter Kyivstar eine mobile Einheit aufgebaut, die mit Starlink eine Internetverbindung wiederherstellte. Hunderte Menschen seien auf den Platz gerannt, um mit ihren Liebsten zu sprechen, erzählte Kyivstar-CEO Oleksandr Komarov. Er sei sich „absolut sicher“, dass Telekommunikation auf der gleichen Ebene humanitärer Hilfe steht wie Wasser, Lebensmittel und Energie.

Seit 2018 ist er der Chef des größten Mobilfunkanbieters der Ukraine, seit dem 24. Februar 2022 befindet er sich im Krieg. Putins Angriff auf seine Heimat hat alles verändert, denn Kyivstar ist zwar ein privates Unternehmen, aber auch Teil der kritischen Infrastruktur, nach eigenen Angaben versorgt das Unternehmen 24 Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer mit Internet. Wie geht Komarov damit um, wie führt man ein Unternehmen in Kriegszeiten?

Man habe schnell reagieren müssen in diesem Krieg, etwa um Menschen auf der Flucht zu helfen. „Ein einfaches Beispiel: Zeitweise lebten Hunderte von Menschen in unserem Büro. Wir haben unsere Büros zu einer Art Notunterkunft für unsere Mitarbeiter gemacht“, sagte Komarov.

Es sei nicht nur die Kommunikation zwischen Menschen, die Telekommunikation so entscheidend mache: „Die Menschen sind ohne Telekommunikation nicht in der Lage, Zugang zu den Medien zu bekommen. Sie sind nicht in der Lage, Transaktionen durchzuführen, also können sie auch die Infrastruktur nicht verwenden.“

Deshalb habe Kyivstar viele kostenlose Services zur Verfügung gestellt, etwa laut eigenen Angaben kostenloses WLAN für über 3000 Schutzeinrichtungen und Unterkünfte. Trotz der Situation habe man aber festgestellt, dass das Geschäft noch immer relativ gut laufe. Deshalb könne sich sein Unternehmen engagieren, etwa im Bereich der Minenräumung, wo es Minenräumroboter teste. Fünf Millionen US-Dollar seien zusammengekommen, davon zwei Millionen durch Spenden von Kunden.

Die größten Sorgen macht er sich um die Energieversorgung. Der Winter kommt. Kyivstar setzt auf mehr als 100.000 Batterien und 2500 mobile Stromgeneratoren, um das Land online zu halten. Das reiche aber noch nicht, sagte Komarov, schließlich verfüge man über 15.000 Basisstationen für das Mobilfunknetz. Diese müssten zwar nicht immer alle mit Energie versorgt werden, es dürfe aber keinesfalls zu tagelangen Stromausfällen kommen.

Der erste Kriegswinter war hart, der kommende könnte noch härter werden. „Die thermischen Stromerzeugungsanlagen sind fast zerstört, vor dem Krieg produzierten sie etwa 30 Prozent der Gesamtleistung“, sagte er. Auch Wasserkraftwerke wurden getroffen, insgesamt käme die Ukraine auf eine Stromlücke von etwa 40 Prozent. Im Moment, Komarov zückt sein Smartphone, seien 270 Stationen ohne Strom. Das sei nichts, da sie gut verteilt seien im Land, aber vergangene Woche seien es auch mal 4000 gewesen.

Die breite Verteilung seiner Stationen im Land gibt Komarov Hoffnung. Die Raketenangriffe seien das eine, russische Cyberangriffe das andere. Erst im Dezember gab es einen solchen, der Kyivstar komplett lahmlegte. „Bei dem Cyberterrorismus gegen Kyivstar gab es den ganz klaren Fokus, uns zu zerstören“, sagte er. Es sei wohl der größte Cyber-Terrorakt der Welt gewesen, trotzdem habe man nach 30 Stunden wieder telefonieren und nach 50 Stunden wieder surfen können. Unter normalen Umständen hätte das zwischen sechs und zwölf Monaten gedauert.

Es gebe zwei Dimensionen, die er beachte, um Kyivstar durch den Krieg zu führen. „Die erste ist eine nationale Sicherheitsdimension, und da es sich bei uns um eine kritische Infrastruktur handelt, sind wir vollständig in den nationalen Sicherheitsrahmen integriert“, sagte er. Deshalb gebe es ein Koordinationszentrum, das vom Nationalen Sicherheitsrat eingerichtet wurde, und „gemäß dem Kriegsrecht sind dessen Befehle für uns verbindlich“. „In gewisser Weise werden wir teilweise von der Regierung verwaltet. Und ich denke, das ist absolut vernünftig“, sagte Komarov.

Und es gebe die soziale Dimension. Er rechne damit, dass sich das Engagement auch auf die Marke auswirke, sich langfristig auszahle. „Gerade jetzt sollten wir uns aber nicht auf Geschäftsergebnisse konzentrieren, sondern auf Resilienz, Stabilität und Unterstützung.“ Gabriel Rinaldi