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Tiefgang

Für von der Leyen beginnt der Wahlkampf erst

Die Stimmen sind ausgezählt und während wir auf Endergebnis und endgültige Sitzverteilung warten, beginnt der zweite Wahlkampf mit aller Macht: der um die Spitzenjobs in der EU.

361 Stimmen braucht Ursula von der Leyen im Europäischen Parlament. Eine Mehrheit gäbe es. Ihre EVP baute schon am Wahlabend Druck auf Sozialdemokraten und Liberale auf, zusammen würde es reichen. Von der Leyen „muss jetzt Kommissionspräsidentin werden“, sagte EVP-Chef Weber am Abend im ZDF. An Scholz und Macron habe er „die klare Erwartung, das Wahlergebnis zu respektieren und Ursula von der Leyen zu unterstützen“.

Die wenig subtile Botschaft: Dann brauchte es auch Melonis rechte Stimmen nicht, außer eben als handliche Daumenschrauben für die linke Mitte.

Zuvor aber muss von der Leyen nominiert werden, vom Europäischen Rat – mit der Besonderheit, dass es dabei auch eine innenpolitische Machtprobe zu bestehen gilt. Ihre CDU muss dem Bundeskanzler eben abringen, dass er von der Leyen nicht nur mitträgt, sondern vorschlägt. Es ist der erste Machtpoker, der zu gewinnen ist. Die Aufmerksamkeit im Team von der Leyen verlagert sich ab heute weg vom Parlament – fürs Erste.

Vom 13. bis 15. Juni tagen die Staats- und Regierungschefs der sieben größten Industrienationen im apulischen Fasano. Die EU-Mitglieder der Runde – neben Gastgeberin Meloni der französische Präsident, deutsche Bundeskanzler sowie Ratspräsident Charles Michel und von der Leyen – gehören zu den einflussreichsten Köpfen in der EU-Personalpolitik; Abtasten ist angesagt. Aber es fehlt ein EVP-Schwergewicht in der Runde, die damit nicht einmal informell beschlussfähig ist.

Beim letzten Mal kam es bei ähnlicher Gelegenheit sogar zu einer Art Lagerkoller: 2019 fand kurz nach der Wahl der G-20-Gipfel in Osaka statt. Dort verfiel Angela Merkel der Idee, den sozialdemokratischen Wahlverlierer Frans Timmermans zum Kommissionspräsidenten zu machen, was das Spitzenkandidaten-Prinzip ebenso radikal, halt auf andere Weise, ins Absurde transponiert hätte. Ihre EVP redete ihr das nach der Rückkehr aus Japan sehr entschlossen aus.

Am 17. Juni treffen sich die Staats- und Regierungschefs der EU zu einer „informell“ genannten Runde; so müssen sie beim ersten Austausch nicht unbedingt zu Ergebnissen kommen im großen Karussell der Spitzenämter.

Es sind Spannungen aufzulösen zwischen dem Sendungsbewusstsein des Europäischen Rates und der Funktionalität seiner Entscheidungsfindung; zwischen Rat und Parlament; zwischen den großen europäischen Parteien und zwischen ihnen allen auf der einen Seite und Emmanuel Macron, der ihren Einfluss minimieren möchte.

Die EVP besetzt inzwischen wieder fast die Hälfte der Stühle im Europäischen Rat und will mit dem Wahlergebnis im Rücken etwas daraus machen, wie Regierungsberater sagen, mindestens den ersten Zugriff, wenn nicht mehr. Die stärksten Figuren der EVP sind die Premierminister Tusk aus Polen und Kyriakos Mitsotakis aus Griechenland.

Aber für eine Mehrheit im Parlament muss das ganze Paket stimmen. Und auch die geografische Balance gehört respektiert, das heißt, auch jemand aus Zentral- oder Osteuropa soll etwas (bloß nicht zu viel) werden. Spannungen sind wenigstens belustigt auszuhalten zwischen von der Leyen und Michel. Er zählte sie neulich öffentlich an und tat ihr damit angesichts seines eigenen Standings, wer weiß, einen Gefallen.

Am 27. und 28. Juni tagt der Europäische Rat dann in formeller Sitzung mit dem Ziel, ein Personalpaket zu verabschieden. Das enthielte seinen Vorschlag ans Parlament für die Kommissionspräsidentschaft (es reicht eine qualifizierte Mehrheit der 27), einen Namen für die Nachfolge des EU-Außenbeauftragten Josep Borell, und nicht zuletzt jemand für den Vorsitz des Gremiums selbst.

Außerdem will der Europäische Rat bei der Gelegenheit seine strategische Agenda für die kommenden fünf Jahre verabschieden, also Auftrag und Wunschliste an die neue Kommission, die in der Praxis dann erst noch mit den Bedingungen des Europaparlaments abzugleichen ist.

Am 16. Juli konstituiert sich das neue Europäische Parlament. Bis dahin werden die Meinungsführer Deals verhandelt und geschlossen haben, Fraktionen sich durch Ein- oder Austritt schon vorläufig neu formiert, einen Umgang miteinander und ein institutionelles Auftreten gefunden oder sich, wie 2019, vom Rat diktieren lassen, was sie nun zu tun hätten.

Der Wunsch der bisherigen Führung um Präsidentin Roberta Metsola: Schon in der ersten Sitzungswoche, am 18. Juli, soll über den Ratsvorschlag zur Kommissionspräsidentschaft abgestimmt werden.