Woher kommt der grüne Wasserstoff der Zukunft?
Veronika Grimm, Ökonomin und Wirtschaftsweisin, stand gestern Nachmittag auf einer Bühne im Garten von Schloss Bellevue, rechts von ihr Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), vor ihr Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Es ging um grünen Wasserstoff, ein Erdgas, das mit erneuerbaren Energien klimaneutral hergestellt werden kann. Und darum, wie viel Deutschland davon braucht, wenn es Vorgänge, die nicht elektrifizierbar sind – sich also nur mit Gas umsetzen lassen, zum Beispiel bei der Stahlproduktion – klimaneutral machen will. Steinmeier hat zur „Woche der Umwelt“ geladen.
Grimm sagte, im Jahr 2045 brauche man ungefähr 300 Terawattstunden Energie für nicht elektrifizierbare Prozesse allein in der Industrie. Kommt dazu noch dieses und jenes, lande man bei rund 500 bis 600 Terawattstunden. Würde alles umgesetzt, was derzeit an Wasserstoffproduktion in Planung sei, würde Energie in Höhe von ungefähr 35 Terawattstunden produziert. Es klafft, so viel ist klar, eine enorme Lücke. Lösung: Importe und eigene Infrastruktur.
Woher nehmen? Der energiepolitische Konflikt zwischen Versorgungssicherheit und der reinen grünen Lehre zeigt sich beim Wasserstoff wieder einmal. Grüne und ihr Vorfeld wollen grünem Wasserstoff am liebsten eine „limitierte Rolle“ (Deutsche Umwelthilfe) zuweisen, damit er nicht als Ausrede genutzt werden kann, um anderswo, zum Beispiel im Verkehr, nicht zu elektrifizieren.
Der Wirtschaftsminister kann daran aber kein Interesse haben, er braucht den Wasserstoff, um die Industrie in Deutschland zu halten. Sopna Sury, Vorstandsmitglied bei RWE, sagte, ein Grund für die fehlenden Investitionen aus der Industrie seien die hohen Kosten. „Wie bringe ich eine neue Technologie schnell in einen Markt, bei der die Kosten relativ hoch sind?“
Wie wohl: RWE habe sich um EU-Fördermittel beworben, sagte Sury. Habeck, spitzes Lächeln, antwortete, die Förderbescheide der EU sollten, wenn alles gut gehe, noch in diesem Monat rausgehen. Auch auf die Frage der Importe hat er eine Antwort. „Wenn wir gut sind, produzieren wir in Deutschland die Hälfte des Wasserstoffs, den wir in Deutschland brauchen. Vielleicht auch nur ein Drittel.“ Die Hälfte bis zwei Drittel müssten also importiert werden.
Weil Wasserstoff sich aber nur sehr energieintensiv über Schiffe transportieren lässt, würden die größte Rolle wohl Leitungen spielen. „Ein Pipeline-System im europäischen Ausland“, sagte Habeck, von Norwegen über Dänemark in die Ukraine. Vor wenigen Tagen haben Deutschland, Österreich und Italien gemeinsam verabredet, einen Wasserstoff-Korridor von Nordafrika über Süditalien bis Süddeutschland gemeinsam voranzubringen.
Grimm warnte davor, nur grünen Wasserstoff zu importieren. Blauer Wasserstoff, bei dem das anfallende CO₂ zum Beispiel über die Carbon-Capture-Storage-Technologie (CCS) in die Erde verpresst wird, habe unter Umständen auch eine geringe CO₂-Bilanz. Besser als die von grauem, also herkömmlich produziertem Wasserstoff, sei sie allemal.
Habeck widersprach, so einfach sei es nicht. Norwegens neues Geschäftsmodell zum Beispiel sei es, künftig blauen Wasserstoff zu liefern. Dafür müsse das Land investieren, etwa in CCS-Infrastruktur, und wolle im Gegenzug langfristige Abnahmegarantien. Die Bundesregierung aber wolle diese nicht geben, schließlich braucht sie für echte Klimaneutralität grünen Wasserstoff. Grimm habe recht, es gehe um jedes Molekül CO₂ – in der Theorie. Die Praxis sei komplizierter. Was er verschwieg: Die Grünen waren lange gegen CCS, die Basis kann sich dafür nach wie vor nur langsam erwärmen.
Deutschland, sagte Habeck der grünen Basis zum Trotz, könne sich zu einem Leitmarkt für Wasserstoff entwickeln. Wenn nur endlich die Industrie investiere. „Should I stay or should I go?“, zitierte er The Clash, „Sein oder nicht sein?“, so sei die Haltung der Industrie. „Sein und Go!“, sagte Habeck. Ein unternehmerisches Restrisiko, sagte er, werde bleiben.