Was sollen Abgeordnete verdienen?
635 Euro und 50 Cent. Um diesen Beitrag steigt ab dem 1. Juli die Aufwandsentschädigung, die die Abgeordneten des Deutschen Bundestages monatlich erhalten – dafür, dass sie tun, was sie tun: Entscheidungen treffen, Reden halten, zuhören, beraten. Politik als Beruf eben.
Viel Geld, vor allem, wenn man bedenkt, dass weitere Pauschalen oder eine Fahrkarte für die Bahn hinzukommen. Doch wie viel ist es wirklich? Politikerinnen und Politiker setzen bei ihrer Arbeit immer stärker auch die eigene körperliche Unversehrtheit aufs Spiel. Am Samstag wurde der CDU-Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter im Wahlkampf angegriffen und leicht verletzt. Wie viel ist einer Gesellschaft dieser Dienst wert?
Die Linke im Bundestag findet, der derzeitige Betrag sei ausreichend, sie fordert eine „Diätenbremse“. Einen entsprechenden Gesetzentwurf hat die Gruppe bereits ins Parlament eingebracht, da er jedoch von einer Oppositionspartei kommt, hat er wenig Aussicht auf Erfolg. Deshalb wollen die Linken noch einmal nachlegen. Heute verschicken die beiden Gruppenvorsitzenden, Heidi Reichinnek und Sören Pellmann, sowie Christian Görke, der Parlamentarische Geschäftsführer, ein Schreiben an ihre Kolleginnen und Kollegen im Parlament, mit dem sie ihrer Forderung noch einmal Nachdruck verleihen wollen. Es liegt SZ Dossier vorab vor.
Adressiert ist der Brief an sämtliche Fraktionen im Bundestag sowie an das BSW, nicht aber an die AfD. Darin heißt es: „In Zeiten, in denen immer wieder auf eine schlechte Haushaltslage verwiesen wird und bei den Ärmsten gekürzt wird“, solle der Bundestag mit positivem Beispiel vorangehen „und auf die anstehende Erhöhung der Diäten“ verzichten.
Das würde nach Ansicht der Linken auch der Spaltung der Gesellschaft entgegenwirken: „Wir haben eine extreme Demokratieverdrossenheit, die Leute haben das Gefühl, nicht mehr vernünftig repräsentiert zu werden, aber gleichzeitig gönnen sich die Abgeordneten so einen Schluck aus der Pulle“, sagt Heidi Reichinnek. Das verstehe kein Mensch. Kommt die Diätenerhöhung, will die Partei sie gemeinsam spenden. An wen, das will sie erst heute bekanntgeben.
Danny Schindler, Politikwissenschaftler und Geschäftsführer des Instituts für Parlamentarismusforschung, sieht das ein wenig anders. Von den Bundestagsabgeordneten arbeiteten „die allermeisten mehr als zwölf Stunden“ am Tag, sagt Schindler. Studien zeigten zudem, dass 90 Prozent der Abgeordneten auch jedes Wochenende im Einsatz seien. Außerdem müssten sie „auch fachlich was auf dem Kasten“ haben, „zu allem sprechfähig“ sein. Dazu komme die „Dauerbeobachtung der Medien“, die Politiker müssten auch „Kritik vom politischen Gegner aushalten“, sagt Schindler. „Und letztlich Entscheidungen für viele Millionen Menschen treffen.“ Und da stelle sich, sagt Schindler, eben die Frage: „Wollen wir gute Politiker?“ Wenn ja, müsse man sie auch anständig bezahlen.
Linken-Politikerin Reichinnek sagt, natürlich sollten Abgeordnete so viel Geld erhalten, dass sie unabhängig sein könnten, dass jede und jeder Politik machen könne – unabhängig vom Geld. Aber dieses Signal in einer Zeit mit steigenden Lebenshaltungskosten für die Bevölkerung, das gehe nicht. „Und wenn, dann muss der Bundestag sich jedes Jahr damit beschäftigen und eine Entscheidung treffen“, sagt Reichinnek.
Seit 2014 ist die Berechnung der Abgeordnetendiäten wie folgt geregelt: Grundlage ist die Besoldung eines Richters bei einem obersten Gerichtshof des Bundes. Dieser Betrag wird zum 1. Juli jedes Jahres angepasst, je nachdem, wie sich die Löhne entwickeln. Weil der Nominallohnindex 2023 um sechs Prozent gestiegen ist, steigen auch die Diäten um sechs Prozent, also um 635,50 Euro. Diesem Verfahren muss der Bundestag am Anfang einer Legislaturperiode zustimmen, danach erfolgt die Anpassung jedes Jahr automatisch, ohne Debatte. Das kritisiert die Linke.
Eine Debatte, das fände auch Danny Schindler nicht schlecht. Es gäbe nämlich „gute Gründe zu sagen, Politiker müssen anständig verdienen“. Diejenigen, die also für eine Erhöhung und gegen eine Nullrunde seien müssten das eben auch offensiv kommunizieren. „Das ist natürlich argumentativ ein bisschen anstrengend“, sagt er. Aber dafür sei der parlamentarische Meinungsstreit nunmal da.