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Tiefgang

Wo die Brandmauer längst gefallen ist

Die AfD ist zu radikal für Marine Le Pen und Matteo Salvini: Das ist der einfache Grund für den Ausschluss der AfD-Abgeordneten aus der bislang gemeinsamen Fraktion im Europaparlament.

Die „Reihe von Vorfällen, an denen Herr Maximilian Krah und damit auch die deutsche Delegation der Gruppe beteiligt waren“, heißt es in dem Beschluss, hätten „dem Zusammenhalt und dem Ruf der Gruppe geschadet“. Die Entscheidung wenige Wochen vor Ende der laufenden Wahlperiode schafft die ersten faits accomplis für die nächste. Sechs Beobachtungen.

Weiter, immer weiter nach rechts: Die fortschreitende Radikalisierung der AfD spiegelt sich in der Geschichte ihrer Fraktionszugehörigkeit: 2014 begann sie in der (damals) konservativen EKR, wechselte dann zur EFDD der Brexit-Partei Ukip. Seit 2019 hatte sie in der radikal rechten ID eine Heimat. Nun ziehen die Franzosen, die dort den Ton angeben, eine Brandmauer ein und die AfD droht dahinter allein zu bleiben – als eine zahlenmäßig nicht unbedeutende Gruppe, aber ohne den Fraktionsstatus, der Ämter, Redezeit und Geld bringt.

Definiere radikal: Im Mitte-rechts-Lager hat es sich durchgesetzt, die harte Rechte erst rechts der EKR beginnen zu lassen (wiewohl sich dort die Postfaschisten von Giorgia Meloni und die nationalistische polnische PiS tummeln, die zum Rechtsstaat ein spezielles Verhältnis hat). So hält im Europaparlament die Erzählung von der Brandmauer oder dem cordon sanitaire – die der Wirklichkeit in Europas Politik kaum mehr entspricht.

Von wegen Brandmauer: In den Niederlanden macht sich die PVV von Geert Wilders daran, die nächste Regierung anzuführen. In Italien, selbst wenn wir der Definition folgen, wonach Meloni keine extrem Rechte ist – ist die Lega von Matteo Salvini daran beteiligt; sie stellt die größte nationale Delegation in der ID. In Österreich die FPÖ, in drei spanischen Regionen Vox, die Liste der mitregierenden Rechtsparteien wächst. In Frankreich und Deutschland sieht das anders aus – aus sehr unterschiedlichen Gründen.

Frankreich first: Marine Le Pen hat sich dafür entschieden, den RN als normale Partei darstellen zu wollen. Die Reise der AfD geht in die andere Richtung. Nicht nur in der deutschen Debatte, auch international, auch in Frankreich, ist eine Zusammenarbeit zu einer deutschen Rechtsaußen-Partei ein Makel, auch daher die Distanznahme: Die AfD ist trotz ihres erwartbar ordentlichen Ergebnisses zu giftig für den RN: Le Pen will 2027 die nächste französische Präsidentin werden. Einfluss im Europaparlament 2024, den eine AfD-Delegation mehren würde, ist dem untergeordnet.

Konkurrenz und Interessen: Europas Rechtsparteien haben ideologische Unterschiede; das Verhältnis zu Russland ist wohl der wichtigste. Das heißt nicht, dass sie die Differenzen nicht irgendwann überwinden. In der Praxis wird der vorhergesagte scharfe Rechtsruck im nächsten Europaparlament gebremst durch die Unfähigkeit, eine große Rechtsaußenfraktion zu gründen. Das werde sich ändern, sagte ID-Spitzenkandidat Anders Vistisen Euronews – wenn auch „vielleicht nicht nach dieser Wahl“.

Die Frage treibt einen Keil in andere Fraktionen: Emmanuel Macrons EU-Listenführerin Valérie Hayer warf die Frage auf, ob es sich mit der Mitgliedschaft in der liberalen Renew-Fraktion vertrage, der Regierung Wilders anzugehören, wie die niederländischen VVD das plant. Sie bekam Widerspruch vom Fraktionskollegen Morten Løkkegaard von Venstre aus Dänemark: Eine „schwierige parlamentarische Situation“ in Den Haag werde „für die französische Innenpolitik ausgenutzt“, klagte er und berief sich auf seine älteren Rechte: Wenn Hayer „und die anderen Proselyten“, die erst vor wenigen Jahren neu zu den EU-Liberalen stießen, „den Geruch in der Backstube nicht mögen, dann können sie ja gehen.“