Rechtsum in der Migrationspolitik
Die Geschäftsgrundlage der neuen niederländischen Regierung ist fertig ausverhandelt. Ihr Kern ist ein deutlich verschärftes Einwanderungsregime. In der gestern veröffentlichten Koalitionsvereinbarung buchstabieren die vier künftigen Regierungsparteien ein restriktives Asylregime aus, die „strengste Asylpolitik, die es jemals gab“, wie es der Chef der nationalistischen Freiheitspartei (PVV), Geert Wilders, am Nachmittag nannte. Es fiele schwer, das nicht auch als den Kern des Wählerauftrags zu interpretieren.
Die Parlamentswahl im vergangenen Jahr bescherte Kräften der linken Mitte Verluste, sie stellte erprobte Bündnisse und rote Linien infrage, mutete dem Mitte-rechts-Spektrum Verhandlungen mit Wilders zu. Das war sogar für das politische System in Den Haag, das Kummer und Kreativität gewohnt ist, eine Herausforderung. Nach Monaten erst konnten sich die Unterhändler verständigen; aber eines war von Anfang an klar: dass die Niederländer mehrheitlich einen Rechtsruck vor allem in Einwanderungsfragen gewählt haben.
Den werden sie bekommen. Das Koalitionspapier beschreibt mehr Kontrollen auch an den EU-Binnengrenzen, härtere Regeln für Asylbewerber. Die Niederlande wollen, dass europäische Asylverfahren in Drittstaaten ausgelagert werden. Auch Arbeitsmigration soll erschwert werden, ebenso wie das Studium an niederländischen Universitäten für Ausländer (außer in technischen Fächern, so viel Eigeninteresse muss auch bei den größten Ideologen sein).
Teile dieses Programms, würden sie Gesetz, widersprächen geltendem europäischem Recht oder liefen Gefahr, es zu tun. Das ist gewollt: „Eine Ausstiegsklausel für die europäische Asyl- und Migrationspolitik wird der Europäischen Kommission so bald wie möglich vorgelegt", heißt es in der Vereinbarung. Es ist eine Ankündigung. Umsetzen lässt sie sich nicht so einfach.
Und doch ist sie wohl auch eine späte Bestätigung für diejenigen in Europa, die die vielteilige EU-Asylreform vor dem Ende der europäischen Legislatur noch über die Ziellinie brachten, und womöglich bietet sie ihren Kritikern, wie den Europaabgeordneten der Grünen, Gelegenheit zum Zweifel: Das Asylrecht im Europa des Jahres 2024 steht unter Druck von rechts, zuletzt konkret erkennbar am Regierungshandeln in Frankreich, in Italien, in Zentral- und Osteuropa.
Nichts deutet auf Mehrheiten für eine Liberalisierung hin. Und nur wenig spricht für die gesetzgeberische und intellektuelle Bequemlichkeit ermöglichende These, das Thema sei den Wählern gar kein Anliegen, nur den Rechtsparteien.
Zu dem neuen Bündnis gehören außer der PVV auch die liberale Partei VVD des scheidenden Premierministers Mark Rutte, die neu gegründete NSC sowie die Bauernpartei BBB, die beide dem christdemokratischen Lager angehören oder nahestehen. Die Koalition verfügt über 88 Sitze im 150 Sitze zählenden Parlament.
Wie es weitergeht? Es sind Neu-Niederlande: Der offizielle Auftrag zur Bildung einer Regierung – als Formateur – durch die Abgeordnetenkammer ging bislang immer an den Chef der größten Partei und designierten Premierminister. Das wäre Wilders, der sich aber mit den anderen Parteivorsitzenden darauf verständigt hat, dem Kabinett nicht anzugehören – eine Voraussetzung dafür, dass die anderen mit ihm verhandelten.
Die nächsten Schritte also: Wilders muss einen künftigen Premier nominieren. Der wird zusammen mit seinem Kabinett die Vereinbarung der Parteien in ein Regierungsprogramm gießen. Es folgt die Aussprache in der Kammer. Das wird noch einige Wochen dauern, Regierungskreise schätzen bis Mitte des nächsten Monats.
Beim informellen Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs am 17. Juni ist Mark Rutte vielleicht gerade noch im Amt. Beim formellen EU-Gipfel zehn Tage später eher nicht mehr – und auch nicht beim Nato-Gipfel in Washington ab dem 9. Juli, der ihn zum nächsten Generalsekretär der Allianz ausrufen soll.
Die neue Regierung unter seinem Nachfolger wird unbequem für die EU-Partner. Für den Nato-Generalsekretär nicht: Die Koalition hat sich auf unzweifelhafte Unterstützung für die Ukraine und eine weiter akzentuierte Verteidigungspolitik verständigt: Das Zwei-Prozent-Ziel soll Gesetzesrang erhalten.