Kurz nach dem Attentat auf den slowakischen Premierminister am Mittwoch lief die Propagandamaschine an: Die Ukraine sei es gewesen, gifteten kremlnahe Accounts. Westliche Verschwörungstheoretiker machten stattdessen die Weltgesundheitsorganisation oder sonst einen nicht weiter spezifizierten „Deep State“ für die Schüsse auf Robert Fico verantwortlich.
Gefährliche Internet-Hits: Auf der Plattform X wurden einzelne dieser Posts über eine Million Mal aufgerufen – obwohl in Europa mit dem Digital Services Act ein Gesetz gilt, nach dem Plattformen die Verbreitung von derlei offensichtlicher Desinformation eindämmen sollen. Die slowakische Polizei drohte gestern mit harten Strafen für Beiträge im Internet, „die das Verbrechen gutheißen und Hass verbreiten“.
Nutzerarbeit statt Pflichterfüllung: Die EU-Kommission hat auch bereits ein Verfahren gegen X eröffnet, unter anderem, weil sie vermutet, dass die sogenannten Community Notes, mit denen die Nutzer Lügen auf der Plattform selbst richtigstellen sollen, ihren Zweck kaum erfüllen. Tatsächlich könnte es sich um eine Sparmaßnahme handeln, vermutet man in Brüssel: Statt Personal einzustellen, das sich um die Moderation von problematischen Inhalten kümmert, lässt X-Eigner Elon Musk seine Nutzer die Arbeit machen.
Ein Spartrick, der teuer werden könnte: Keiner der irreführenden Posts rund um den Anschlag auf Fico, die uns Experten zeigten, war auf X mit Community Notes versehen. Das könnte ein Beleg dafür sein, dass Musks Plattform gegen das EU-Gesetz verstößt. Die Entourage des zuständigen EU-Kommissars Thierry Breton wollte gestern zu laufenden Ermittlungen nichts Konkretes sagen, bestätigte aber, dass sich das Verfahren auf die „Wirksamkeit von Community-Notizen“ bezieht.
Big Tech einbestellt: „Im Zusammenhang mit dem Attentatsversuch auf Premierminister Fico haben wir ein laufendes Monitoring zur Desinformation, und wir stehen in Kontakt mit den slowakischen Behörden und der Zivilgesellschaft“, sagte uns ein Mitglied aus Bretons Team. Heute kommt die Sache in Brüssel zur Sprache: „Wir sind bereit zu handeln, sollte der Verdacht auf eine sich verschlechternde Situation bestehen, und werden die Angelegenheit morgen am Runden Tisch zur Desinformation mit den Plattformen besprechen.“
Mehr davon: Heute Mittag erhalten Sie erstmals unser Dossier Schattenspieler – den neuen wöchentlichen Lagebericht zum Informationskrieg im Internet, für den Felix Kartte, Christina Brause und Benjamin Läpple zunächst für die kommenden sechs Wochen zu meinem Team stoßen.
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