Die neue Merzpartei
Der Irrtum ist vielleicht dem Umstand geschuldet, dass der CDU-Vorsitzende noch nie regieren durfte oder musste: Wer sagt es Friedrich Merz, dem von knapp unter 90 Prozent seiner Partei wiedergewählten Vorsitzenden, dass es zu Kanzlerschaft und Regierungsfähigkeit mehr braucht als ideologische Gefasstheit?
Dem Parteitag in Berlin sagte Merz, das neue Grundsatzprogramm, das heute beraten wird und beschlossen werden soll, habe praktischen Nutzen: „Mit diesem Programm sind wir sofort oder spätestens im Herbst des nächsten Jahres wieder bereit, Regierungsverantwortung für Deutschland zu übernehmen.“ Das Land könne es besser, müsse aber auch „endlich wieder gut regiert werden“.
Die Frage, ob Merz Kanzler könne, ist damit um eine Facette reicher. Beantwortet ist eine andere: Der Parteitag lässt wenig Zweifel aufkommen, dass er es versuchen dürfen soll. Wer auch sonst?
Ausgerechnet Daniel Günther klang fast, als wolle er sich als Merzens Wingman für den Merkel-Flügel zur Verfügung stellen. Gut, 31 Prozent in den Umfragen seien „noch nicht das, wo wir hinwollen“, sagte der schleswig-holsteinische Ministerpräsident, der die Mitte, in der Wahlen gewonnen werden, weiter links verortet als der CDU-Mainstream nach Merkel.
Die Verantwortung, mehr zu holen, sei eine gemeinsame, sagte er: „Wir schaffen das nur, so viele Menschen anzusprechen, wenn wir breit aufgestellt sind.“ Das lesen wir so: Wenn er weiter Merkels Erbe beanspruchen darf, bringt er es vielleicht ins Familienvermögen ein.
Hendrik Wüst hat lang genug in die Partei hineingehört, um den Ruf nur mehr recht leise zu vernehmen, es diesmal schon selbst anzupacken. „Lasst uns gemeinsam Friedrich Merz den Rücken stärken“, sagte der nordrhein-westfälische Ministerpräsident und forderte ein „Signal der Geschlossenheit“ in Form eines des Ergebnisses für Merz, denn: „Einig und geschlossen sind wir stark.“
Von Markus Söder reden wir ausnahmsweise einmal nicht. Der kommt heute zur CDU, spricht für sich selbst und hat Macht, der Merzpartei den Tag zu verhageln, wenn er es will.
Aber zum Regieren. Merz beschrieb Probleme und bot ein ideologisches Gerüst an, Lösungsvorschläge hingegen noch kaum. Unmittelbare Regierungsfähigkeit würde womöglich mehr beinhalten als bloß zu sagen, was abgeschafft werden soll, wie das Bürgergeld („in heutiger Form“). Fertig ausgearbeitete Vorschläge in der Schublade und das Spitzenpersonal dazu in Wartestellung, so haben es jedenfalls andere gemacht, wie Griechenlands Premierminister Kyriakos Mitsotakis, als er 2019 an die Macht kam und binnen Monaten eine tatsächliche Wirtschaftswende herbeiführte.
Aber so lange die Sonntagsfrage eine des Was-wäre-wenn ist, ist auch der Ruf nach einem Machtwechsel gratis, den Merz aus den Umfragen hört.
Was wir uns also merken vom Parteitag an Tag 1: Regierungsfähig will die CDU mit Folgendem sein. Sie stellt Freiheit vor Frieden, wenn die Wahl denn sein muss. Sie definiert Leistung über Fleiß. Sie sieht Regulierung als Einladung zur Innovation, nicht als Schutz der Menschen vor ihrem schwachen Willen und beschwört Europa bloß da, wo es nicht weiter definierten „Mehrwert“ bringt. Florian Eder