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Tiefgang

Entwicklungspolitik kommt unter die Räder

Achim Steiner, wie steht es um die weltweite Entwicklungszusammenarbeit?

Der Leiter des UN-Entwicklungsprogramms (UNDP) spricht diplomatisch klare Worte. „Es ist eine Phase, die im Augenblick deutlich schwieriger ist und das hat mehrere Gründe“, sagte Steiner im Interview. In der internationalen Großwetterlage werde kritischer betrachtet, wer wo und mit wem unter welchen Voraussetzungen zusammenarbeitet.

Drei Dimensionen prägen seine Arbeit: die Innenpolitik in wichtigen Staaten der Welt, politische Prioritäten und schließlich das Geld.

Steiner blickt auf eine lange Karriere bei den Vereinten Nationen zurück, bis 2016 leitete er das UN-Umweltprogramm. Deutschland könne nicht die Augen vor den Herausforderungen der Weltpolitik verschließen, sagte er: „Ich glaube, die meisten in Deutschland werden nachvollziehen können, dass die großen Sicherheitsrisiken unserer Zeit letztlich nicht aus der Innenpolitik heraus kommen, sondern durch die Entwicklungen, die sich weltweit abspielen.“

Im letzten Jahr mussten über 110 Millionen Menschen ihr Zuhause verlassen, so viele wie seit 1945 nicht mehr, sagte Steiner. In den letzten zwei bis drei Jahren verzeichnete seine Organisation eine signifikante Zunahme der Krisen- und Konfliktsituationen – man arbeite in 170 Ländern und im Augenblick seien fast 50 davon betroffen.

Von Anspruch und Wirklichkeit: „Wir hängen voneinander ab im 21. Jahrhundert, um Probleme lösen zu können, um Risiken bewältigen oder zumindest minimieren zu können. Und deswegen ist die Entwicklungszusammenarbeit heute nicht mehr Entwicklungshilfe im traditionellen Sinne, sondern es ist eine Art gemeinsames Investieren in die großen Risikofaktoren“, sagte Steiner.

Dennoch erlebt er aus erster Hand, wie sehr viele Länder ihre Finanzierung der Entwicklungszusammenarbeit reduziert haben – besonders in Europa. Das verstärkt einen Trend noch: „Wir reagieren immer nur auf Krisen. Sehr selten nehmen wir die Warnsignale wahr und agieren im präventiven Sinne.“ Internationale Zusammenarbeit könnte ein Instrument der Prävention sein: „Damit kann man Risiken entschärfen.“ Oder könnte.

Seine Organisation habe während der vier Jahre Trump keinen Cent an US-Beiträgen verloren, sagte Steiner, dank des Kongresses, der Kürzungen kurzsichtig fand. Aber: „Ich glaube, nichts ist sicher. Wir leben in einer Phase profunder Unsicherheit, die auch zunimmt.“ Und die das politische Klima verschlechtere: „Wenn man sich unsicher fühlt, hat man Angst. Man hat Angst vor den Nachbarn, man hat Angst vor der Zukunft. Man hat das Gefühl, ein Staat, eine Regierung handelt nicht mehr in dem Interesse, das man selbst hat.“

In den UN spüre man in jeder Verhandlung, wie sich Spannungen potenzierten, weil sich jeder mit jedem zunehmend in einem Missverständnis befinde. „Wir müssen miteinander kooperieren, wir müssen miteinander arbeiten, und ich glaube, das ist im Augenblick natürlich erst einmal schwierig geworden. Vor allem, weil Außenpolitik, eine strategische und langfristige Perspektive sehr schnell unter die Räder von nationaler Politik gerät“, sagte Steiner.

Es herrscht Krieg in Europa und das UN-Entwicklungsprogramm ist mittendrin. So habe man versucht, sich in der Ukraine sehr stark darauf konzentriert, die Handlungsfähigkeit des Staates zu stärken. „Denn der Krieg als solcher findet ja nur in einem bestimmten Bereich des Landes statt, jetzt mal von den Luftangriffen ausgenommen. Das heißt, in vielen Teilen des Landes muss der Staat weiter funktionsfähig bleiben“, sagt Steiner.

Das UNDP hat sich darauf konzentriert, der ukrainischen Regierung zur Seite zu stehen, um etwa digitale Plattformen zu schaffen, damit sich die über vier Millionen Binnenvertriebenen möglichst schnell wieder mit einem staatlichen Sozialsystem verbinden können.

Manche Risiken könne man nicht mit einem Flugzeugträger oder einer Rakete reduzieren. Steiner glaubt nicht, dass sich Entwicklungsgelder und Militärhilfe ausschließen – dafür sei die Ukraine ein klares Beispiel. „Ich glaube, in der Ukraine muss man jetzt wirklich auch erst einmal wahrnehmen, dass sich dort die internationale Gemeinschaft sehr großzügig engagiert, und zwar auf beiden Seiten.“