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Nutzungsrechte erwerbenMerz setzt den Ton seiner Kanzlerschaft
Donnerstag, 15. Mai 2025Guten Morgen. Friedrich Merz hat in seiner ersten Regierungserklärung elf Minuten länger gesprochen als vorgesehen, wie Bundestagspräsidentin Julia Klöckner im Anschluss zu Protokoll gab. Knapp eine Stunde lang ging er sehr detailliert darauf ein, was die neue Bundesregierung aus CDU, CSU und SPD mit dem Land vorhat.
Es bleibt bei der politischen Erzählung der Arbeitskoalition. Schwarz-Rot strebe kein „ideologisches Großprojekt an zur Veränderung unserer Gesellschaft“, sagte Merz. Stattdessen wolle man die „Rahmenbedingungen unseres Landes setzen für das Zusammenleben der Menschen“. Das soll dann auch bald bei den Bürgerinnen und Bürgern ankommen: Der Bundeskanzler wolle, dass Deutschland schon im Sommer spüre: „Hier verändert sich langsam etwas zum Besseren, es geht voran.“
Was die Regierung vorhat und welche Prioritäten Merz gesetzt hat, schauen wir uns heute an. Derweil geht es um 15 Uhr bei SZ Dossier Tiefgang Live um ein Thema, das Wirtschaft, Politik und Gesellschaft gleichermaßen beschäftigt: den Einsatz von Künstlicher Intelligenz. Mit Andrea Martin von IBM sprechen wir darüber, wie Unternehmen KI bereits heute nutzen können und wie der Staat helfen kann, den Rückstand aufzuholen. Hier geht es zur Anmeldung.
Willkommen am Platz der Republik.
Was wichtig wird
Es gab ein zentrales Motiv in der ersten Regierungserklärung von Bundeskanzler Friedrich Merz: „Wir wollen regieren, um unser Land aus eigener Kraft heraus voranzubringen“, sagte er. Schwarz-Rot will nach seinen Worten das Versprechen vom „Wohlstand für alle“ erneuern und neuen gesellschaftlichen Zusammenhalt stiften. Die knapp einstündige Rede, von Merz in weiten Teilen abgelesen, hat den Ton für seine Kanzlerschaft gesetzt.
Zum leichteren Vergleich, was nachher auch eingehalten wird: Hier die Kernpunkte.
Verantwortung – nicht nur für Deutschland. „Als Bundesregierung werden wir unsere Energie darauf richten, Europa einen großen Schritt voranzubringen in einer Zeit, in der wir als Kontinent in unserer Stellung auf der Welt neu vermessen werden und ihn neu verteidigen müssen“, sagte Merz. Europa blicke auf Deutschland, erwarte etwas von Deutschland. „Die neue Bundesregierung nimmt diese Verantwortung an“, stellte Merz klar. Die deutsche Außenpolitik soll europäische Außenpolitik sein.
Drei Grundsätze: Als er auf die Ukraine kam, wiederholte der Kanzler seine drei Prinzipien. Deutschland stehe erstens klar an der Seite Kyivs, die Unterstützung bleibe zweitens eine „gemeinsame Anstrengung der Europäer, der Amerikaner und anderer Freunde und Verbündeter in unserem ureigensten Interesse“. Drittens vertrage sich mit dieser Haltung kein Diktatfrieden. Merz berichtete auch von seinen zwei Telefonaten mit US-Präsident Trump: Er werde „alle Anstrengungen unternehmen“, um weiterhin „größtmögliche Einigkeit“ zwischen Europa und Washington herzustellen, sagte er.
Stärkste Armee Europas: Berlin werde die eigenen Verpflichtungen in der Nato erfüllen. Die Bundesregierung werde alle finanziellen Mittel zur Verfügung stellen, die die Bundeswehr benötige, um „konventionell zur stärksten Armee Europas“ zu werden. „Das erwarten auch unsere Freunde und Partner von uns, mehr noch, sie fordern es geradezu ein“, sagte Merz.
Dann: Wirtschaft. Die deutsche Wirtschaft sei noch in großen Teilen wettbewerbsfähig, die Rahmenbedingungen aber nicht mehr. Merz will die Wirtschaft auf Kurs bringen, indem er investiert und reformiert. Dafür brauche es öffentliche und private Investitionen. Erste Maßnahmen werde die Regierung „schon bald“ verabschieden. Beim Sondervermögen – für diese Legislatur seien bis zu 150 Milliarden Euro geplant – müsse man gleichwohl „äußerst behutsam“ mit den Schulden umgehen.
Weitere Punkte: Bürokratieabbau, eine „Hightech-Agenda“ zur Förderung von Spitzentechnologien, die Vereinfachung von Gründungen, die Förderung des offenen Handels. „Im Sinne eines strategischen De-Riskings werden wir einseitige Abhängigkeiten weiter abbauen“, sagte er. Dafür sei es umso wichtiger, neue Handelspartner zu finden. Explizit nannte Merz den afrikanischen Kontinent und die dynamischen Volkswirtschaften Asiens. Auch eine vertiefte Zusammenarbeit mit Großbritannien betonte er.
Nächster Halt: Energie. „An den deutschen, den europäischen und den internationalen Klimazielen halten wir fest“, leitete Merz ein. Um sie zu erreichen, werde die Regierung aber neue Wege einschlagen: vorrangig die CO₂-Bepreisung. „Die Einnahmen daraus werden wir nicht im Staatshaushalt vereinnahmen, sondern gezielt an die Wirtschaft und die Bürgerinnen und Bürger zurückgeben“, sagte er. Konkreter wurde er nicht.
Erster Schritt: die Senkung der Stromsteuer. Hinzu kämen dann Entlastungen bei den Netzentgelten und die Ermöglichung der Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid. Auch soll die wöchentliche Höchstarbeitszeit kommen. Sobald es finanziell drin sei, würden auch „ganz gezielt die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen bei der Einkommensteuer“ entlastet werden. Weitere Punkte: Grundsicherung statt Bürgergeld, bezahlbare Mieten, die Erhaltung des ländlichen Raums.
Sicherheit und Staatsraison: „Deutschland ist trotz der verschärften Sicherheitslage nach wie vor ein sicheres Land“, leitete Merz ein. Sicherheitskräfte sollen besser ausgerüstet werden. Deutschland müsse ein Schutzraum sein für Jüdinnen und Juden, dem „unerträglichen Antisemitismus“ wolle man den Kampf ansagen. Existenz und Sicherheit Israels seien Staatsraison. „Wir stehen unverbrüchlich an der Seite Israels“, sagte Merz. Die Regierung unterstütze alle Bemühungen für eine bessere humanitäre Versorgung der Bevölkerung in Gaza, deren Leiden man sehe. Es sei eine „humanitäre Verpflichtung“ aller Beteiligten, sagte Merz, dass eine Hungersnot in der Region schnellstmöglich abgewendet werde.
Einwanderung: Das Thema Migration tauchte erst am Ende auf. „Die in weiten Teilen ungesteuerte Migration hat unsere Gesellschaft in den letzten Jahren überfordert“, sagte Merz. Gleichzeitig sei Deutschland ein Einwanderungsland. Man habe aber laut Merz „zu viel ungesteuerte Einwanderung“ zugelassen und „zu viel gering qualifizierte Migration“ in Arbeitsmarkt und Sicherungssysteme ermöglicht. Migration werde jetzt geordnet. Dabei mache Deutschland laut Merz „keinen nationalen Alleingang“, sondern verhalte sich im Einklang mit europäischem Recht. Überdies werde Berlin auch die Außengrenzstaaten unterstützen.
In der Außen- und Sicherheitspolitik setzt die Bundesregierung auf Kontinuität. Außenminister Johann Wadephul (CDU) und Boris Pistorius (SPD) haben in ihren Antrittsreden skizziert, wie sie sich die kommenden vier Jahre vorstellen. Dabei wurde klar, dass sich die Politik von Schwarz-Rot in diesen Bereichen nicht wesentlich von der Ampel unterscheiden wird. Mit einigen Ausnahmen und anderen Akzenten.
Aus einem Guss: Neu ist, dass die Bundesregierung künftig mit einer Stimme sprechen soll. „Wir brauchen eine Außenpolitik, eine Verteidigungspolitik, eine Entwicklungshilfepolitik dieser Bundesregierung aus einem Guss“, sagte Außenminister Wadephul im Bundestag; mitgemeint ist auch das Kanzleramt. Der CDU-Mann betonte, dass man die transatlantische Freundschaft neu austarieren müsse, zählte sie jedoch als Grundpfeiler auf.
Wadephul legte, wie es sich gehört, sein Bekenntnis zum Existenzrecht und zur Sicherheit Israels als Teil der deutschen Staatsräson ab, mit einer Erwähnung der „unerträglichen Situation“ der Menschen im Gazastreifen. Zur Ukraine und zur Nato bekannte er sich auch, dann die Kür: „Wir müssen belastbare Partnerschaften mit Schlüsselländern und Regionen auf allen Kontinenten aufbauen, wir müssen respektvoll und nicht belehrend mit ihnen ins Gespräch kommen“, sagte Wadephul. Zudem forderte er „qualifizierte Mehrheiten in der Außen- und Sicherheitspolitik“ auf europäischer Ebene.
Verteidigungsfähigkeit: Auch der alte und neue Verteidigungsminister Pistorius setzte auf Bewährtes. „Für uns war und ist klar: Wer morgen in Sicherheit leben will, der muss heute die Vorkehrungen dafür treffen“, sagte er. Er nannte die Förderung der deutschen und europäischen Rüstungsindustrie, die Unterstützung der Ukraine, die Verteidigung jedes Quadratzentimeters des Nato-Gebiets. „Im Juni werden wir die neuen Nato-Fähigkeitsziele kennen und wir werden sie erfüllen“, sagte Pistorius. „Deutschland wird vorangehen, weil wir es können und weil wir es müssen.“ Mit der dauerhaften Stationierung der Brigade in Litauen zeige man Stärke an der Nato-Ostflanke.
Doch es gibt Neuigkeiten. „Durch das Entkoppeln des Verteidigungshaushalts von der Schuldenbremse haben wir deutlich mehr Flexibilität und Planungssicherheit geschaffen“, sagte Pistorius. Auch der zunächst freiwillige Wehrdienst wurde genannt: „Die Betonung liegt auch auf zunächst, falls wir nicht hinreichend Freiwillige gewinnen können“, sagte er. Und konkrete Vorhaben: „Wir werden sehr schnell ein Planungs- und Beschaffungsbeschleunigungsgesetz auf den Weg bringen“, kündigte Pistorius an. Zudem will Schwarz-Rot die Befugnisse des militärischen Abschirmdienstes stärken und den Schutz vor Sabotage, Spionage und Drohnen verbessern.
Heute soll im Bundestag der Ältestenrat gewählt werden. Das ist das Gremium, das im Bundestagsalltag über die Tagesordnung wacht und generell für einen reibungslosen Ablauf des Plenarbetriebs sorgen soll. Er besteht aus der Bundestagspräsidentin und deren Stellvertreterinnen und Stellvertretern sowie weiteren Abgeordneten, bei denen es sich nicht „unbedingt um die ältesten Parlamentarier, wohl aber um sehr erfahrene“ handele, wie die Bundestagsverwaltung schreibt.
Die AfD will den Haushalt: Steht der Ältestenrat, steht eigentlich auch der Einsetzung der Ausschüsse nichts mehr im Weg. Doch bei dieser Formalie – genauer gesagt bei der Zuteilung der Vorsitze – zieren sich die Fraktionen mit festen Zusagen. Verständlich, denn wie schon in der vergangenen Legislaturperiode hat auch die AfD Anspruch auf Ausschussvorsitze und als größte Oppositionsfraktion traditionell Zugriff auf den mächtigen Haushaltsausschuss. Doch Union, SPD, Grüne und Linke werden sicherlich auch in der 21. Legislaturperiode versuchen, dies zu verhindern.
Entwurf liegt schon bereit: Bei den Wahlen zum Ausschussvorsitz waren die Bewerber der AfD-Fraktion in der Vergangenheit durchgefallen. Die jeweiligen Ausschüsse wurden dann von den Stellvertreterinnen und Stellvertretern aus einer anderen Fraktion geleitet. Um deren Position zu stärken und so den Zugriff der AfD zu schwächen, soll nun die Geschäftsordnung des Bundestages geändert werden. SPD-PGF Dirk Wiese bestätigte am Mittwoch, dass bereits ein Entwurf zur Änderung der GO „in der Schublade liege“, den Union und SPD nun gemeinsam durchbringen wollen. Zudem gibt es weitere Absprachen zwischen Schwarz und Rot: Demnach soll der Auswärtige Ausschuss an die Union gehen, Außenpolitiker Armin Laschet ist als Vorsitzender vorgesehen.
Auch die AfD hat Personalien geklärt. Etwa, wie sie ihre Abgeordneten auf die Ausschüsse verteilt. Interessant ist etwa die Personalie Matthias Helferich, der in der vergangenen Wahlperiode fraktionslos im Bundestag saß, jetzt aber in die Fraktion aufgenommen wurde. Helferich bezeichnete sich einst als „das freundliche Gesicht des NS“. Gegen ihn läuft ein Parteiausschlussverfahren. Seinem Vorhaben, im Kulturausschuss zu arbeiten, stellte sich die Fraktion trotzdem nicht in den Weg. Was er dort plant, kündigte er vorgestern in einem Video auf Telegram an. Da plädierte er für „eine rechte, eine patriotische, eine identitäre Kultur-, Medien- und Identitätspolitik“.
Rochade im Arbeitskreis Außen: Matthias Moosdorf, bislang außenpolitischer Sprecher und umstritten wegen seiner Russlandnähe, sitzt nicht mehr im Auswärtigen Ausschuss, sondern fortan im Europaausschuss. Außenpolitischer Sprecher soll Markus Frohnmaier werden. Auch er ist in Sachen Russlandnähe kein unbeschriebenes Blatt. Medien berichteten 2019 über ein Strategiepapier, das aus der russischen Duma in die Präsidialverwaltung geschickt wurde und in dem es hieß, Frohnmaier werde ein „unter absoluter Kontrolle stehender Abgeordneter im Bundestag sein“. Obmann in dem Ausschuss soll Stefan Keuter werden. Er war laut einem Bericht der Welt am Sonntag am russischen Nationalfeiertag 2024 zu Gast in der russischen Botschaft, sagte hinterher aber, er habe nicht gefeiert, sondern Diplomaten getroffen.
Die Schienenverbindungen aus und in den Westen sind von großer Bedeutung für die Ukraine. Auch Nachschub an Waffen liefern die westlichen Verbündeten der Ukraine auf dem Schienenweg. Vor diesem Hintergrund ist die Meldung des deutschen Generalbundesanwalts über die Verhaftung von drei Verdächtigen besonders brisant: Sie sollen sich „zur Begehung einer schweren Brandstiftung sowie der Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion“ bereit erklärt haben. Anschlagsziel sei demnach der Güterverkehr zwischen Deutschland und der Ukraine gewesen, berichten Florian Flade, Jörg Schmitt, Christian Wernicke und Ralf Wiegand in der SZ.
Drei Männer aus der Ukraine: Bereits am 9. Mai vollstreckten Kölner Polizisten demnach einen von drei Haftbefehlen und nahmen einen – nach SZ-Informationen 21-jährigen – Mann in Köln fest. Tags darauf schlug das Landeskriminalamt Baden-Württemberg in Konstanz zu und verhaftete einen weiteren Verdächtigen, angeblich 24 Jahre alt. Ein dritter Mann ging den Behörden am Dienstag im schweizerischen Kanton Thurgau ins Netz. Alle drei Männer sind laut Generalbundesanwalt ukrainische Staatsbürger. Ihnen wird Agententätigkeit zu Sabotagezwecken vorgeworfen.
Sprengstoffanschläge geplant: Yevhen B., Daniil B. und Vladyslav T. sollen sich spätestens Ende März gegenüber einer oder mehreren mutmaßlich im Auftrag von russischen staatlichen Stellen handelnden Personen bereit erklärt haben, Brand- und Sprengstoffanschläge auf den Gütertransport in der Bundesrepublik Deutschland zu begehen. Sie hätten demnach von Deutschland aus Pakete mit Spreng- oder Brandvorrichtungen versenden sollen, Ziele wären Adressen in der Ukraine gewesen.
Neues Ziel Infrastruktur: „Das sind extrem erhebliche Vorwürfe, die die neue Qualität hybrider Bedrohung“ in Deutschland durch Russland zeigen würden, sagte der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU) gestern. Russische Geheimdienste gingen bei Sabotage und Spionage „risikobereiter und aggressiver“ vor, dazu brauche es keine ausgebildeten „Agenten alter Schule“ mehr, sondern sogenannte Low-Level-Agenten, die für kleines Geld angeworben würden. Die Angriffe richteten sich nicht nur gegen staatliche Institutionen, sondern auch gegen kritische Infrastruktur, die Privatwirtschaft und einzelne Personen.
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Tiefgang
Mehr als 1000 Seiten ist das Gutachten lang, das das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) über die AfD angefertigt hat. Seit Dienstag ist es öffentlich, das Magazin Cicero und rechtsgerichtete Medien stellten es ins Netz.
Mit dem Dokument belegt der Verfassungsschutz, warum er die AfD als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“ eingestuft hatte. Dagegen hat die Partei in der Zwischenzeit geklagt. Bis die Sache vom Verwaltungsgericht in Köln geklärt ist, hat der Verfassungsschutz eine sogenannte Stillhaltezusage abgegeben und die Hochstufung vorläufig ausgesetzt. Die Überwachung der AfD bleibt aber grundsätzlich weiterhin möglich, allerdings mit höheren Hürden.
Was aber steht in dem Gutachten, das nun veröffentlicht wurde? Drei Fragen, drei Antworten.
Wie sind die Verfassungsschützer vorgegangen?
Sie haben Aussagen und Aktivitäten von AfD-Repräsentanten, Funktionsträgern, Gremien, Organisationseinheiten und Teilorganisationen gesammelt. Dabei bezogen sie alle Ebenen der Partei mit ein, der Fokus habe aber auf Funktions- und Mandatsträgern auf Bundes- und Landesebene gelegen, heißt es in dem Gutachten. Insgesamt stützen sie ihre Argumentation auf Belege von 353 Personen und 105 Organisationseinheiten beziehungsweise Teilorganisationen.
Als Nachweise dienten den Verfassungsschützern Schriften, Grundsatzpapiere, Publikationen und Aussagen im öffentlichen Raum oder im Netz. Parlamentsreden wurden wegen des erhöhten Schutzstatus von Abgeordneten nicht berücksichtigt.
In das Gutachten floss auch der Bundestagswahlkampf 2025 ein, ursprünglich sollte der Beobachtungszeitraum nur bis Mitte November 2024 reichen.
Der Verfassungsschutz begründete die Hochstufung der AfD als gesichert rechtsextremistische Bestrebung vor allem mit dem „ethnisch-abstammungsmäßige[n]“ Volksverständnis, das in der AfD vorherrschend sei. Was sagt das Gutachten dazu?
In der AfD werde „weiterhin und nachdrücklich“ ein Volksverständnis vertreten, dem die Annahme zugrunde liegt, „das deutsche Volk bestehe nicht aus der Gesamtheit aller Staatsangehörigen, sondern aus der Gesamtheit der ‚ethnischen‘ Deutschen“, heißt es in dem Gutachten. Von hochrangigen Funktionären gebe es eine Vielzahl von Äußerungen, die ausdrückten, dass Menschen, die nicht den Vorstellungen vom „ethnisch deutschen Volk“ entsprächen, auch dann keine gleichwertigen Mitglieder des deutschen Volkes sein könnten, wenn sie die Staatsangehörigkeit besitzen.
Ihre Argumentationen untermauern die Verfassungsschützer mit einer Fülle an Belegen – vom Kreisvorsitzenden bis zum Bundesvorstand. Und immer wieder mit Aussagen von Björn Höcke. Der sprach etwa im Thüringer Landtagswahlkampf 2024 davon, „unser Volk“ drohe „zur Minderheit im eigenen Land zu werden“. 2022 sagte er bei einer Veranstaltung im brandenburgischen Elsterwerda: „Wenn wir diese millionenfache Zuwanderung aus dem arabischen und afrikanischen Raum nach Europa nicht zum Stillstand bringen, dann wird Europa seine kulturelle Kernschmelze erleben. Dann werden wir einen historischen Kultur- und Zivilisationsbruch in Europa erleben.“ Es komme nicht nur auf die Quantität, sondern auch auf die Qualität der Menschen an.
Der Verfassungsschutz spricht an dieser Stelle von einem biologistischen Kulturverständnis, das nicht mit der Menschenwürde migrantischer Personen vereinbar sei. Außerdem liege ihm die menschenunwürdige Unterscheidung zugrunde, wonach es Bevölkerungsgruppen mit einer höher- und einer geringerwertigen Kultureignung gebe.
Wie schätzt der Verfassungsschutz die Entwicklung der AfD ein?
Die Verfasser des Gutachtens machen drei zentrale Entwicklungslinien der AfD in den vergangenen Jahren aus. Erstens: Die Partei sei ausweislich ihrer Mitgliederzahlen und ihrer Wahlergebnisse populärer geworden. Zweitens habe sie sich professionalisiert – auch was die Art und Weise anbelangt, wie sie innerparteiliche Konflikte austrägt. Für das Gutachten am bedeutendsten ist aber die dritte Beobachtung: Der Prozess der inhaltlichen Homogenisierung, wie ihn die Verfassungsschützer bezeichnen.
Was bedeutet das? Über die Jahre habe sich innerhalb der AfD eine einzelne Strömung durchgesetzt, die mittlerweile in der Partei den Ton angibt: das solidarisch-patriotische Lager. Hierzu zählen die Verfassungsschützer einerseits die Anhänger des inzwischen aufgelösten „Flügels“ um Björn Höcke. Und andererseits das Netzwerk um den Bundestagsabgeordneten und stellvertretenden Fraktionschef Sebastian Münzenmaier. Dessen Netzwerk unterscheide sich weniger auf ideologischer, sondern vielmehr auf strategischer Ebene vom ehemaligen Flügel.
Andere Strömungen, die früher in der Partei um Macht und Einfluss kämpften, wie etwa das liberalkonservative Lager, sehen die Verfassungsschützer an den Rand gedrängt. Prominente Vertreter dieser Strömung wie der frühere Parteichef Jörg Meuthen haben die AfD verlassen.
In ihrer abschließenden Bewertung schlussfolgern die Verfassungsschützer, innerhalb der Partei fehlten vernehmbare Abgrenzungen oder Gegenpositionen gegenüber den menschenwürdewidrigen Positionen. Im Unterschied zum vergangenen Gutachten sei also nicht mehr davon auszugehen, dass gemäßigte Kräfte noch in der Lage wären, die verfassungsfeindliche Prägung der Gesamtpartei umzukehren. Tim Frehler
Fast übersehen
Forderung an Moskau wiederholt: Kanzler Friedrich Merz hat gestern Abend erneut einen „bedingungslosen Waffenstillstand in der Ukraine“ gefordert. Auf dieser Grundlage könnten Gespräche für einen dauerhaften Frieden beginnen, sagte er nach einem Treffen mit UN-Generalsekretär António Guterres. Merz begrüßte, dass der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij bereit sei, zu Gesprächen mit Russland in die Türkei zu reisen.
Trump und Putin kommen offenbar nicht: Putin wird wohl nicht nach Istanbul reisen, wie aus einer Teilnehmerliste des Kreml hervorgeht. Als Chef einer mehrköpfigen Delegation entsendet Moskau demnach Putins Berater Wladimir Medinski in die Türkei. Auch Außenminister Sergej Lawrow wird einem Medienbericht zufolge nicht dabei sein. Zwei US-Regierungsvertreter sagten CNN kurz nach Bekanntwerden der Liste, US-Präsident Donald Trump werde nicht zu dem in Istanbul vorgesehenen Treffen fliegen. Sein Sonderbeauftragter Steve Witkoff hatte am Nachmittag angekündigt, er werde zusammen mit Außenminister Marco Rubio nach Istanbul reisen.
Keine Angst vor Treffen: Selenskij brach nach Angaben eines Insiders in die Türkei auf. „Wir sind auf dem Weg“, sagte die Person Reuters am Mittwochabend. Als Ziel wurde allerdings Ankara genannt und nicht Istanbul. Es war zunächst nicht klar, ob Selenskij vorhat, nach Istanbul weiterzureisen. „Die Ukraine ist zu jedem Format von Verhandlungen bereit und wir haben keine Angst vor Treffen“, sagte er in seiner abendlichen Videoansprache. Kyiv wolle die nächsten Schritte davon abhängig machen, wer aus Russland in die Türkei reise. Weitere Updates gibt es hier.
Datenschutz in Unternehmen: Die Bundesdatenschutzbeauftragte Louisa Specht-Riemenschneiders will ihre Behörde umbauen. Sie soll dem Koalitionsvertrag zufolge künftig die Wirtschaft zentral beaufsichtigen. „Es wird aber keine teure Mammutbehörde entstehen“, sagte sie dazu im Gespräch mit Matthias Punz in unserem Dossier Digitalwende.
Union und SPD wollen Paradigmenwechsel einleiten: Bisher sind die Landesdatenschutzbehörden zuständig, je nach Sitz des Unternehmens. Das derzeitige Aufsichtspersonal in den Ländern umfasst in Summe rund 450 Personen, schätzte die Hamburger Datenschutzbehörde kürzlich.
Zentralisierung schafft Verschlankung: Zahlen für das benötigte Personal will die Bundesdatenschutzbeauftragte zwar noch nicht nennen. Es sei aber davon auszugehen, dass Konzepte vereinheitlicht werden könnten, wenn in Zukunft nur noch eine Stelle zentral berät und beaufsichtigt.
Unter eins
Laut Bundestagspräsidentin Julia Klöckner hat es während der Regierungserklärung von Merz aus den Reihen der Linksfraktion den Zwischenruf „Das ist kein Krieg, das ist Genozid“ gegeben
Zu guter Letzt
Noch-FDP-Chef und Ex-Finanzminister Christian Lindner hat einen neuen Job. In einer Bekanntmachung im Bundesanzeiger heißt es, Lindner habe der Bundesregierung nach Paragraf 6a des Bundesministergesetzes angezeigt, als „freiberuflicher Redner und Autor“ zu verschiedenen Anlässen tätig werden zu wollen. Dafür hat er nun grünes Licht bekommen.
Lindner habe Einladungen „insbesondere von internationalen Kongressen angenommen, um globale Entwicklungen einzuordnen“, sagte ein Sprecher der dpa. Auftritte sind demnach unter anderem in Wien, Sofia und Zürich geplant. Am Freitag spricht er aber erst einmal in Neukölln, ein letztes Mal als Parteivorsitzender beim FDP-Bundesparteitag.