Die neue EU-Kommission wird eine deutlich bürgerliche Prägung aufweisen – dadurch, dass über die Hälfte ihrer Mitglieder der Europäischen Volkspartei angehören, nicht zuletzt durch ihre Präsidentin Ursula von der Leyen, und durch eine starke EVP-Fraktion im Europaparlament. Die EVP hat sich machtpolitisch neu positioniert. Nun hat sie dies auch inhaltlich vor.
„Wenn die Kommission ab dem 1. Dezember ihr neues Mandat antritt, freue ich mich auf die alte, neue Zusammenarbeit mit Liberalen und Sozialdemokratie“, sagte Manfred Weber, der Vorsitzende von Fraktion und Partei, SZ Dossier. Aber schon mit einer wahrnehmbaren Akzentverschiebung: „Wir müssen gerade auch bei Sicherheit, Verteidigung, Wettbewerbsfähigkeit und Kampf gegen illegale Migration mehr Elan und Ambition zeigen“, sagte er – Prioritäten der EVP.
„Ich mache mir wenig Sorgen, was die Abstimmung in der kommenden Woche über die neue Kommission angeht“, sagte Weber am Donnerstag im Interview, nachdem Verhandlungen über strittige designierte Kommissionsmitglieder beendet waren – mit einem Kompromiss, für den Weber viel weniger geben musste als andere.
„Jeder weiß: Jetzt brauchen wir eine starke Kommission“, sagte er, ein letzter Aufruf an Sozialdemokraten und Liberale, sich bei der Plenarabstimmung kommende Woche an die zu dritt gefundene Vereinbarung zu erinnern. Durchsetzen will sich Weber nun aber nicht nur in Machtfragen und -spielen über Namen, Titel und Zuständigkeiten in der neuen Kommission, sondern auch in wirklicher Politik.
Das Verbrenner-Aus etwa wurde in der zurückliegenden Legislatur „mit einer linken Mehrheit, also den Liberalen und allen Linken, auch ganz Linksaußen, gegen unsere Stimmen beschlossen“, sagte er. „Diese linke Mehrheit gibt es eben jetzt nicht mehr. Das ist die neue Wirklichkeit, in der auch die Grünen und Sozialdemokraten ankommen müssen.“
Daraus ergibt sich eine teils neue Rolle für seine Fraktion. „Für die EVP heißt das: Wir müssen jetzt auch liefern“, sagte Weber und deklinierte die Sache einmal durch. „Wir sind auch die Bauernpartei Europas und stellen jetzt den Agrarkommissar. Wir sind gefordert, auf uns kommt es an.“ Der zuständige Ausschuss ist in rechtskonservativer Hand der EKR, eine Mehrheit in der Mitte und rechts davon denkbar.
Da wird es für die EVP wiederum nicht reichen, Kommissionsvorschläge zu kritisieren, wie in der zurückliegenden Periode, das ist Weber bewusst: „Wir werden die Landwirtschaftspolitik so gestalten, dass wir Ökologie und Ökonomie zusammenbringen und die bäuerliche Landwirtschaft in eine gute Zukunft führen.“
Zu tun gibt es ja einiges. Auf die Weltlage gilt es zu reagieren: Chinas Aufstieg, eine Krise der heimischen Industrie, die Einfuhrzölle, die der erneut gewählte US-Präsident Donald Trump ankündigte. Weber ist zuversichtlich, dass die EU reagieren kann – sofern sie nicht erst eine Strukturdebatte führen muss und Zuständigkeiten schon hat. „Dort, wo wir handeln können, sind wir auch handlungsfähig, etwa, wenn es um Handelsfragen geht.“
Gegenzölle auf amerikanische Einfuhren hat die EU-Kommission schon vorbereitet und kann sie ins Werk setzen, so bald nötig. Sie werden auch wirken, sagte Weber voraus: „Die Wirtschaftsleistung Europas ist etwa so groß wie die der Vereinigten Staaten. Wir sind beide aufeinander angewiesen“, sagte er. „Wir werden sehen, ob – wie es Jean-Claude Juncker gelang – eine Verständigung mit Trump zu erreichen ist. Davon würde der gesamte Westen profitieren. Wir sind den USA aber auch nicht ausgeliefert. Ein geeintes Europa kann Trump im Fall des Falles durchaus die Stirn bieten.“
Was helfen würde: Wenn die europäische Industrie nicht unter vielem leiden würde, was in den USA anders, und dort ein Standortvorteil, ist: Energiepreise, Regulierung, Finanzierung. „Wir müssen uns auf unsere Stärken besinnen“, sagte Weber. „Automobil, Manufacturing, Chemie – das sind wichtige Märkte in Europa, die wir auch für die Zukunft stärken müssen.“ Er hatte gerade diese Woche sieben europäische Auto-CEOs zu einem Brüsseler Gipfel zu Gast: Erst die Substanz pflegen oder retten, dann daran denken, in anderen Branchen international aufzuschließen, so sein Argument.
In nicht weniger zentralen Fragen ist Weber wenig zuversichtlich, dass sich in den kommenden fünf Jahren viel bewegen wird. „Wo wir noch zu uneins sind, ist alles, was Außen- und Sicherheitspolitik betrifft. Da gibt es die Einstimmigkeitsvorgabe, eine gemeinsame Verteidigungspolitik ist ohnehin heute leider noch rudimentär. Da wollen wir beginnen, aber es gibt noch kaum Strukturen.“ Die Einstimmigkeit führt in der Außenpolitik in der Theorie zu gut geeinten Positionen, in der Praxis zu Blockaden und Vetos, oft zugunsten Chinas oder Russlands.
Zu Gestaltungswillen in Europa rät Weber den Unionsparteien auch im anstehenden Bundestagswahlkampf. „Die Union hat eine gewaltige Chance, mit Personen, aber auch insgesamt, die Europapartei in diesem Wahlkampf zu sein“, sagte er. Die SPD war das mit Martin Schulz, auch die Grünen haben Europathemen schon erfolgreich besetzt.
Die Stelle aber sei vakant, so Webers Analyse. „Wenn man das Thema Verteidigung, Aufbau eines gemeinsamen Raketenschutzes für Europa, jetzt gemeinsam ziehen würde, dann könnte das eines der Bilder sein, das wir brauchen“, sagte er. „Wir können das Feld abdecken der Menschen, die sich einfach eine Stärkung Europas wünschen. Dieses Segment müssen und können wir abholen.“