Carl-Oskar Bohlin ist in Schweden recht bekannt, seitdem er Anfang des Jahres eindrücklich vor einem Krieg gewarnt hatte. Der Minister für Zivilschutz leitet kein eigenes Haus, sondern ist dem Verteidigungsministerium zugeordnet. Sein Job ist es, die auch in Deutschland viel diskutierte Zeitenwende in den Köpfen umzusetzen. Bohlin will die Schwedinnen und Schweden kriegstüchtig machen. Dafür setzt er unter anderem auf eine Broschüre.
Bohlins Besuch in Berlin ist eng getaktet. Er spricht bei der Berliner Sicherheitskonferenz mit Entscheidern und an der Hertie School mit Studierenden. Danach nimmt er sich Zeit für ein Gespräch mit SZ Dossier. In Deutschland steht der Bevölkerungsschutz nicht an oberster Stelle, es gibt keinen eigenen Staatssekretär oder gar Minister. Die Aufgaben im Zivilschutz, in deutscher Lesart der Schutz im Verteidigungs- und Spannungsfall, werden vom Bund wahrgenommen. Die Länder sind für den Katastrophenschutz zuständig.
Eine Unterscheidung in Zivil- und Katastrophenschutz gibt es in Schweden so nicht. Verteidigung insgesamt wird unter dem Begriff der „totalen Verteidigung“ ganzheitlich gedacht. Doch das war nicht immer so: Die neue Regierung sah sich vor zwei Jahren laut Bohlin mit einer „katastrophalen Sicherheitslage“ konfrontiert. „Für uns war es also sehr wichtig, Sicherheit ganz oben auf die Tagesordnung zu setzen“, sagte er SZ Dossier. So seien innere und äußere Sicherheit Priorität geworden.
„Wir haben also die Ausgaben für die militärische Verteidigung und den Zivilschutz aufgestockt“, sagte er. Eine der Veränderungen sei gewesen, dass Ministerpräsident Ulf Kristersson zum ersten Mal seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs beschlossen habe, einen Minister für Zivilschutz zu ernennen.
„Er war der Meinung, dass man sich um diese Angelegenheiten kümmern muss, weil sie die gesamte Gesellschaft betreffen“, sagte Bohlin. Das Ziel: Die „Widerstandsfähigkeit“ und „Robustheit“ in der Gesellschaft aufzubauen. Wichtigster Faktor dabei: die tickende Uhr. „Wir wissen nicht, wie viel Zeit wir zur Verfügung haben“, sagte er.
Im Gegensatz zu Deutschland setzt Schweden laut Bohlin dabei auf „strategische Kommunikation“ mit der Bevölkerung. Er hält eine Broschüre hoch, die in dieser Woche an alle schwedischen Haushalte verteilt wurde. „In case of crisis or war“ lautet der Titel der englischen Ausgabe. 32 Seiten mit Hinweisen, Regeln und Tipps, die im Katastrophen- oder Kriegsfall zu befolgen sind – und bei der Vorbereitung helfen sollen.
„Wenn Schweden angegriffen wird, muss jeder seinen Beitrag leisten, Schwedens Unabhängigkeit zu verteidigen – und unsere Demokratie“, steht im Vorwort. Eine weitere Stelle: „Wenn Schweden angegriffen wird, werden wir niemals kapitulieren. Jede gegenteilige Behauptung ist falsch.“
Finnland und Norwegen haben ähnliche Broschüren veröffentlicht. Bohlin ist stolz auf die Broschüre: „Das hat es schon früher gegeben, aber es ist aktualisiert worden, um die Sicherheitslage zu reflektieren, die wir vor uns haben“, sagte er. Es gehe bei alldem um „Solidarität mit dem Rest des Landes“.
Das Heftchen komme bei den Schweden gut an. „Ich glaube, dass die Menschen gerne gut informiert sind und wissen wollen, was von ihnen erwartet wird“, sagte Bohlin. „Ich glaube, es gibt immer noch ein Informationsdefizit, weil wir aus der Zeit des inneren Friedens kommen, in der diese Fragen nicht eindeutig geklärt wurden.“
Das sei aber nur ein kleiner Schritt, es müssten noch viele weitere folgen. Ob Schwedens Vorgehen auch Vorbild sein könne? „Ich meine, niemand wäre glücklicher als ich, wenn wir ein Beispiel für andere Nato-Länder abgeben könnten“, sagte Bohlin.
Falls es eine Initiative gebe für eine Nato-weite Broschüre, würde sich Schweden freuen, die eigenen Erfahrungen zu teilen, kündigte er an. „Ich habe diese spezielle Broschüre im Rahmen der Nato noch nicht vorgestellt, aber ich würde das gerne tun.“
Schweden sei bereit, die Zusammenarbeit in der zivilen Verteidigung „mit allen zu vertiefen, die die Situation auf die gleiche Weise beurteilen“. Dabei richtete sich Bohlin auch explizit an Berlin: „Ich denke, dass es in dieser Hinsicht eine Ähnlichkeit mit den nordischen und baltischen Ländern gibt, und natürlich schätzt auch Deutschland die Lage bis zu einem gewissen Grad ähnlich ein.“
Er sei allgemein dafür, dass Europa mehr Verantwortung für seine Sicherheit übernehme. Stockholm habe die Hausaufgaben gemacht: „In Schweden haben wir unsere Ausgaben für die militärische Verteidigung in den letzten vier Jahren verdoppelt und werden in ein paar Jahren 2,6 Prozent des BIP erreichen“, sagte Bohlin. Darüber hinaus stelle Schweden einen zusätzlichen Betrag von 0,3 Prozent für den Zivilschutz zur Verfügung.
Auch auf hybride Gefahren hat sich das Land eingestellt, Bohlin hat in seinem Bereich eine neue Behörde für psychologische Verteidigung aufgebaut. „Sie wurde 2022 eingerichtet, um bösartige Beeinflussungskampagnen, die darauf abzielen, schwedische Interessen im In- oder Ausland zu schädigen, aufzudecken und zu bekämpfen.“
Dabei zielt sie nicht auf den öffentlichen Diskurs innerhalb des Landes ab, sondern sucht im Ausland nach bösartigen Akteuren im Informationsraum, die versuchen, die „Funktionsweise der schwedischen Demokratie“ zu stören. Gerade während des schwedischen Nato-Beitrittsprozesses habe die Behörde eine Zunahme von solchen Kampagnen festgestellt. Gabriel Rinaldi, Sina-Maria Schweikle