Der türkische Oppositionspolitiker Ekrem İmamoğlu ist als Istanbuler Bürgermeister „vorübergehend“ abgesetzt worden. Das gab das türkische Innenministerium gestern bekannt. Begründet wurde die Absetzung mit der Untersuchungshaft, die im Zusammenhang mit Korruptionsermittlungen von der Istanbuler Staatsanwaltschaft gegen İmamoğlu verhängt wurde. Der Vorgang gilt als beispiellos, im Land finden die größten Proteste seit Jahren statt. Dabei kam es zu hunderten Festnahmen. Auch in Berlin haben gestern in Charlottenburg mehr als 1000 Menschen für die Freilassung İmamoğlus demonstriert.
Scharfe Kritik von der Bundesregierung: Das Vorgehen sei ein schwerer Rückschlag für die Demokratie in der Türkei, sagte gestern ein Sprecher des Auswärtigen Amts. „Politischer Wettbewerb darf nicht mit Gerichten und Gefängnissen geführt werden. Wir erwarten, dass die Vorwürfe schnellstmöglich transparent aufgeklärt werden und es ein Verfahren auf Basis rechtsstaatlicher Prinzipien gibt“, hieß es weiter. SPD-Chef Klingbeil forderte im Tagesspiegel die Freilassung von İmamoğlu und allen mit ihm Inhaftierten: „Die Türkei darf nicht weiter Richtung Autokratie abrutschen“, sagte Klingbeil.
Was bisher geschah: Der Politiker wurde am Mittwoch gemeinsam mit weiteren Menschen festgenommen, nur wenige Tage vor seiner geplanten Nominierung als Präsidentschaftskandidat der größten Oppositionspartei CHP. Ihm werden in zwei getrennten Verfahren Vorwürfe im Zusammenhang mit Terrorismus und Korruption gemacht. Zahlreiche Menschen nahmen gestern an der Wahl İmamoğlus zum Präsidentschaftskandidaten seiner Partei teil: Er ist der einzige Kandidat und gilt als aussichtsreicher Konkurrent des regierenden Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan.
Wie es weitergehen könnte: Offizieller Kandidat ist İmamoğlu erst, wenn die als regierungsfreundlich geltende türkische Wahlbehörde seine Kandidatur bestätigt. Sollten die Terrorermittlungen bis dahin nicht eingestellt werden, ist eine Annahme seiner Kandidatur unwahrscheinlich. Zudem wurde İmamoğlu in dieser Woche der Universitätsabschluss aberkannt. Die Entscheidung ist noch nicht endgültig, ein Abschluss ist Voraussetzung für eine Präsidentschaftskandidatur. İmamoğlu wies alle Vorwürfe zurück und sprach auf X von einem „politischen Putsch“.