von Tim Frehler, Elena Müller, Gabriel Rinaldi und Michael Radunski
Diese Meldung stammt aus dem folgenden Briefing des Dossiers Platz der Republik:
Die politische Karriere des Grünen-Politikers Stefan Gelbhaar ist vorerst beendet, die damit verbundene Angelegenheit ist es nicht. Im Gegenteil: Kurz vor der Bundestagswahl nimmt sie gerade ganz neue Ausmaße an.
Was ist passiert? Gelbhaar werden sexuelle Übergriffe auf Frauen aus der Partei vorgeworfen. Unter anderem der rbb hatte über den Fall des Grünen-Politikers berichtet und sich dabei auf eidesstattliche Versicherungen der Frauen gestützt, die mit den Journalistinnen und Journalisten des Senders gesprochen hatten. Gelbhaar selbst bestreitet die Vorwürfe und geht juristisch dagegen vor. Noch ist er Bundestagsabgeordneter im Berliner Wahlkreis Pankow, auf der Landesliste der Partei für die kommende Wahl tritt er aber nicht mehr an, eine Abstimmung über die Direktkandidatur hat er vor kurzem verloren.
Nun stellt sich heraus: Mindestens einem Teil der Vorwürfe, die gegen Gelbhaar erhoben wurden, fehlt eine Grundlage: Es bestehen Zweifel an der Identität einer der Frauen, die die Vorwürfe an den rbb herangetragen hatte. Anne K. sei nicht diejenige gewesen, für die sie sich ausgegeben habe, teilte der Sender am Freitagabend mit. „Mit hoher Wahrscheinlichkeit existiert diese Frau gar nicht.“ Zuvor hatte der Tagesspiegel berichtet, die Urheberin einer eidesstattlichen Versicherung, die der rbb dem Landgericht Berlin vorgelegt habe, sei nicht an der Adresse gemeldet, die in der Versicherung angegeben sei. Das habe eine Abfrage im Einwohnermelderegister ergeben. Auch vor Ort sei der Name an Klingel und Briefkasten nicht zu finden.
Falsche Identität: Weitere Recherchen hätten laut rbb zu einer Bezirkspolitikerin geführt, „bei der für uns zweifelsfrei feststeht, dass sie sich in Gesprächen dem rbb gegenüber als Anne K. ausgegeben hat und unter diesem Namen auch eine eidesstattliche Versicherung abgab“. Die Person bestreite dies aber, schreibt der Sender. Damit seien nicht alle Vorwürfe, über die der rbb berichtet habe, nichtig, ein wesentlicher aber schon. Alle auf den Aussagen von Frau K. beruhenden Berichte seien jedenfalls von der Website genommen worden, teilte der rbb gestern mit, der Sender habe Strafanzeige gegen die Person gestellt, „die nach unseren Recherchen die falschen Erklärungen abgegeben hat“.
Erste Konsequenzen: Am Wochenende nun trat die Berliner Bezirkspolitikerin Shirin Kreße bei den Grünen aus und legte ihre Ämter nieder. Sie soll, so schreiben es meine Kollegen Vivien Timmler und Jan Heidtmann, in einer Sitzung des linken Flügels der Berliner Grünen im Dezember berichtet haben, sie wisse von schweren Vorwürfen im Belästigungskontext gegen Gelbhaar. Zu erreichen war Kreße für die SZ nicht.
Krisenkommunikation, so wichtig: Sprechfähig zu dem Thesma war auch Annalena Baerbock gestern nicht. Als ZDF-Moderator Wulf Schmiese sie zu den Entwicklungen im Fall Gelbhaar fragte, wich Baerbock aus. Als Außenministerin könne sie dazu nichts sagen, es gebe gerade andere Herausforderungen weltweit. Die Parteizentrale und die Ombudsstelle der Grünen kümmerten sich aber um die Angelegenheit, sagte Baerbock.