von Tim Frehler, Gabriel Rinaldi, Selina Bettendorf und Florian Eder
Diese Meldung stammt aus dem folgenden Briefing des Dossiers Platz der Republik:
Der Fachkräftemangel bremst Deutschland an vielen Stellen aus. Zwar ist die Zahl der offenen Stellen zu Beginn des Jahres zurückgegangen, noch immer aber versuchen Arbeitgeber hierzulande, mehr als anderthalb Millionen Jobs zu besetzen. Die Lage könnte aber noch viel dramatischer sein als bislang bekannt, wie Antworten des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) auf Fragen des stellvertretenden Grünen-Fraktionsvorsitzenden Andreas Audretsch zeigen, die der SZ exklusiv vorliegen. Roland Preuß und Vivien Timmler berichten.
Zuwachs dank ausländischer Arbeitskräfte: Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist zwischen Juni 2022 und Juni 2023 zwar um etwa 264.000 Arbeitnehmer auf 34,7 Millionen gestiegen. Der Zuwachs ist demnach aber ausschließlich auf Menschen ohne deutschen Pass zurückzuführen. Deren Anteil an den sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen hat sich damit seit 2010 von 6,8 auf 15,3 Prozent mehr als verdoppelt. Hinzu kommt, dass die Beschäftigung deutscher Staatsangehöriger wegen der allgemeinen Alterung sinkt – ausländische Arbeitskräfte die Jobschwäche der Deutschen also überkompensieren.
Drastische Verschlechterung: Trotz dieser zusätzlichen Arbeitskräfte dürfte sich in einigen Branchen die Fachkräftesituation in den kommenden Jahren weiter drastisch verschlechtern, vor allem in Berufen der Daseinsvorsorge. So rechnet das Ministerium bis 2027 mit einem Engpass von 65.000 Lehrkräften und 34.000 Erziehern und Sozialarbeiterinnen. Auch im Gesundheitsbereich, wozu sowohl Rettungsdienst als auch Krankenpflege zählen, fehlen demnach bis 2027 insgesamt 58.000 Fachkräfte. In der klassischen Wirtschaft tun sich demnach in den kommenden Jahren große Lücken auf, etwa in der Bauplanung mit 23.000 Leerstellen, im Maschinenbau mit 21.000 Vakanzen und in der Informationstechnik mit 17.000 Stellen.
Arbeitskräfte mobilisieren: Die Wirtschaftsvereinigung der Grünen hat gestern ein Positionspapier veröffentlicht, in dem sie Maßnahmen vorschlägt, um neben Fachkräften aus dem Ausland auch Arbeitskräfte im Inland zu mobilisieren. Wie Gabriel Rinaldi berichtet, fordern die Unternehmen mehr Anreize für längere freiwillige Beschäftigung Älterer, die Steigerung der Frauenerwerbstätigkeit durch bessere Rahmenbedingungen, Arbeitszeit durch Digitalisierung, KI und Automatisierung freizumachen sowie die Förderung flexibler Arbeitszeitmodelle. „Rechtliche und finanzielle Anreize sowie die Anpassung sozialer Sicherungssysteme sind ebenfalls notwendig, um die Potenziale voll auszuschöpfen“, heißt es in dem Papier.