Die Staats- und Regierungschefs der EU haben sich im ersten Anlauf nicht auf ein Personalpaket für die Führungsrollen in der EU der kommenden fünf Jahre einigen können. Nach einem informellen Abendessen in Brüssel gingen sie ohne Einigung auseinander. Ihr Vorsitzender Charles Michel sagte um Mitternacht, der Zweck der Zusammenkunft sei ein „eingehender Meinungsaustausch“ gewesen und versuchte sich an einer recht eigenen Deutung: „Der Zweck des heutigen Abends war es, keine Entscheidung zu treffen.“
Nächste Woche wieder: Ursula von der Leyen, die derzeitige – und mit größeren Chancen als andere auch nächste – Präsidentin der Kommission, muss damit weiter auf die Nominierung durch den Europäischen Rat warten. Nächste Gelegenheit ist Ende der kommenden Woche, bei der nächsten Tagung des Gremiums.
Was ist passiert? Nicht gerade eine Bestätigung der Kardinal-und-Konklave-Weisheit, aber etwas Trotz war dabei, nach Angaben beteiligter Diplomaten auf verschiedenen Seiten: Wenn alle schon ganz sicher zu wissen glauben, wie genau es ausgeht und warum, fühlen sich die einen herausgefordert, den Schlaubergern zu widersprechen, andere ermutigt, sich nicht mit dem längst Eingepreisten zufriedenzugeben, dritte befugt zu beidem.
Konkret: EVP-regierte Länder wollten mehr als von der Leyen II, berichteten Diplomaten. Beflügelt vom Status des Siegers der Parlamentswahl und der Stärke im Europäischen Rat, forderten einige für die eigene Partei weitere halbe Amtszeiten in Spitzenämtern wie dem des Präsidenten des Europäischen Rats oder, Zuständigkeiten hin oder her, des Europaparlaments. Die Realisten in der EVP-Führung taten es im Wissen, dass sie damit „nichts als Liebe und Zuneigung unserer Mitbewerber“ gewinnen würden, wie einer davon uns sagte: „Es liegt in unserer Natur, wir können nicht anders.“
Dinner und dann heim? Denkste. Scholz hatte vor Beginn eine Verständigung „in kürzester Zeit“ angekündigt. Er ging transparent mit der Frage um, wer etwas bekommen soll und wessen Stimmen im Europaparlament daher am Ende Teil des Geschäfts seien. Die Wahlen hätten „eine stabile Mehrheit“ aus EVP, Sozialdemokraten und Liberalen ergeben. „Es gibt auch noch andere, die politisch ein wenig dazu passen, aber im Kern ist das die Grundlage für die Unterstützung der Kommissionspräsidentschaft“, sagte er.
Das ging an die Grünen. Die halbe Distanzierung reichte nicht, um die EVP zufriedenzustellen.
Unterdessen in Luxemburg: Was die Grünen angeht, sie wären auch gern Teil der VDL-Mehrheit, die sie aber nicht direkt braucht. Ideologische Unterschiede einmal beiseite: Die EVP verdächtigt die Grünen, Verabredungen generell nicht einzuhalten. Österreichs Grünen-Umweltministerin Leonore Gewessler tat gestern beim Ministerrat in Luxemburg das Ihre, um die EVP in solchen Vorbehalten zu bestärken.
Nach bestem Gewissen! So sagte sie und half gegen die Ansage des Bundeskanzlers, Karl Nehammer von der ÖVP, dem EU-Renaturierungsgesetz durch Österreichs Stimme im Rat über die letzte Schwelle. Nehammer kündigte eine Nichtigkeitsklage beim Europäischen Gerichtshof an.
Eh: Eine Parlamentsneuwahl stand in Österreich für September schon vor der nun vom Juniorpartner ausgelösten Regierungskrise an, und für die Grünen sieht es nach deutlicher Einstelligkeit aus. Wenn Gewesslers Coup nicht eine Mobilisierunghilfe ist, was dann?