Im Krieg fragt es sich leicht im Konjunktiv. Wäre die Ukraine Teil der Nato – oder der EU – geworden, hätte Russland sie womöglich nicht überfallen? Am 1. Mai wurde die EU-Osterweiterung gefeiert, als zehn Länder, darunter Polen, Tschechien und die baltischen Staaten, der EU beitraten. Gedacht wurde viel an die Ukraine. Die Lage an der Front hat sich in den vergangenen Wochen verschlechtert, die Armee fürchtet, den strategisch wichtigen Ort Tschassiw Jar zu verlieren.
Unglückliche Entscheidung: In den Grenzstädten Słubice/Frankfurt (Oder) trafen sich Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und Polens Außenminister Radosław Sikorski. Baerbock erzählte, ihr begegne auf ihren Reisen oft die Frage, warum Deutschland nicht noch mehr für die Ukraine täte. Sikorski appellierte an die Bundesregierung, noch einmal über die Entscheidung nachzudenken, Marschflugkörper vom Typ Taurus an die Ukraine zu liefern. „Wie das in Demokratien so ist, muss man gemeinsam entscheiden“, sagte Baerbock, ganz offensichtlich nicht glücklich über das rigorose Kanzler-Nein.
Stärke und Mut: Sie zog Parallelen vom damaligen Ja zur Erweiterung zu heute. Ein Wagnis erzeuge immer Gegenwind. „Wir werden Großes, wie eine Vereinigung im Herzen Europas, nicht schaffen, wenn wir uns vom Gegenwind kleinkriegen lassen“, sagte sie. Die Stimmung 2004, sie war damals in Frankfurt (Oder), sei eben nicht gewesen, dass „alle diese Erweiterung“ wollten. Es seien Ängste geschürt worden. Es habe dafür politisch Verantwortliche gebraucht, die sich „genau dafür eingesetzt haben“. Schwer, daraus keine Kritik am zögerlichen Kurs des Kanzlers hineinzulesen.
Streben nach Größe: Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) sagte, es brauche eine „stärkere Hinwendung zu den östlichen Ländern“. Im März hatte er gefordert, die deutsche Außenpolitik solle sich stärker dafür einsetzen, den Krieg zu beenden. Dabei sind es die osteuropäischen Länder, die am lautesten für Solidarität mit der Ukraine werben. Litauens Außenminister Gabrielius Landsbergis sagte in einer Videobotschaft, die EU würde danach streben, eine „geopolitische Macht“ zu werden. Die europäische Familie sei noch nicht komplett. „Wir müssen alles tun, um sicherzustellen, dass Ukraine, Moldau, die Länder des westlichen Balkans und – hoffentlich – Georgien so schnell wie möglich Teil der EU werden, und dass Russland, das verzweifelt versucht, das zu verhindern, in der Ukraine besiegt wird.“