Emmanuel Macron hat den ersten Zug gemacht in seiner Eröffnung auf dem Schachbrett der europäischen Politik. Den Wahlkampf ums Europaparlament hat sein Team weitgehend abgehakt, abgeschlagen, wie die Partei des französischen Präsidenten in allen Umfragen hinter dem rechtsextremen Rassemblement National ist. Im Spiel danach, um Spitzenposten und Einfluss, ist er hingegen so aktiv und strategisch wie wenige.
Seit Wochen hören wir aus Paris, und auch zu lesen ist es mittlerweile nicht mehr nur in der französischen Presse, des Präsidenten Liebe zu Ursula von der Leyen sei erkaltet. 2019 hat er sie als Kommissionspräsidentin mindestens miterfunden. Aber, so die Klage französischer Regierungskreise, die CDU-Politikerin habe sich doch als deutsch herausgestellt und damit vielleicht nicht als Frankreichs beste Option für den mächtigsten Job in Brüssel. Der parteilose Elder Statesman Mario Draghi vielleicht eher.
Das bringt von der Leyens Europäische Volkspartei auf die Palme und auch sonst Leben in die Bude. Macron ist der einzige Spieler, der dazu in der Lage ist, jedenfalls vor der Wahl: Die EVP hat sich festgelegt auf ihre Spitzenkandidatin von der Leyen. Die europäische Sozialdemokratie schickt mit Nicolas Schmit einen Frontmann ins Rennen, der ebenso gut wie führende Sozis weiß, dass er keine Chance auf die Kommissionspräsidentschaft hat, aber das sagt man im Wahlkampf besser nicht.
Macron hat sich schon beim vergangenen Male überzeugend brutal vom Spitzenkandidaten-Prinzip verabschiedet und es gibt keinen Hinweis, dass er es diesmal anders sieht. Das gibt ihm Gedankenfreiheit und Spielraum. Dass er damit erreicht, was seine Leute als seine Ideen streuen: unwahrscheinlich. Die Lage verschafft ihm aber dennoch einen Vorteil: Er kann den Preis hochtreiben. „Wenn Du Macron wärst“, sagte ein europäischer Diplomat in Brüssel, „du würdest es genauso machen.“ Wer nicht.
Denn andersherum sieht es für von der Leyen nicht schlecht aus, sechs Wochen vor der Europawahl: Ihre EVP liegt in Umfragen vorn und ist kaum einzuholen, so träge wie die Sitzverteilung auf Ausschläge sogar in mittelgroßen Ländern reagiert. Auch im Europäischen Rat ist die EVP wieder stärkste Kraft mit fast der Hälfte der Staats- und Regierungschefs.
Dass der nächsten Kommission mehr EVP-Mitglieder angehören werden als der heutigen, kann sich jeder anhand der Zahl an EVP-geführten Regierungen ausrechnen. Dass Macron Garantien für seine Kernanliegen möchte, wen wundert es: eine interventionistischere Wirtschaftspolitik, eine striktere Handelspolitik, eine französisch geprägte Industriepolitik, eine gemeinsame Verteidigungspolitik, alles unter dem Leitgedanken europäischer Souveränität und unter Pariser Führung. Er hat es vergangene Woche erst umfassend ausbuchstabiert.
Die Kommissionspräsidentschaft wird sich die EVP angesichts dieser doppelten relativen Mehrheit kaum nehmen lassen, dafür werden mindestens Meinungsführer wie Polens Donald Tusk und Griechenlands Kyriakos Mitsotakis sorgen. Von der Leyen ist in der komfortablen Lage, dass „Gegner mehr tun müssen, um sie zu verhindern, als ihre Freunde, um sie durchzusetzen“, sagte ein weiterer Diplomat.
Macron hat in der Sache einen blinden Fleck, der womöglich davon herrührt, dass er Parteien keine große Bedeutung mehr beimisst. Wie Menschen in mehreren Regierungszentralen uns bestätigen, tun andere das sehr wohl, zur späten Genugtuung von EVP-Chef Manfred Weber, den Macron 2019 wegkegelte. Draghi hat große Verdienste und sollte weltanschaulich weithin anschlussfähig sein, aber er ist in keine Organisation eingebunden.
Im Europaparlament, überflüssig zu erwähnen, spielen Parteien ohnehin eine große Rolle. Von der Leyen schloss erst am Montag in einer Wahldebatte nicht aus, Mehrheiten auch unter Einbeziehung der Europäischen Konservativen und Reformer finden zu wollen, das ist die Partei, der Italiens Premierministerin Giorgia Meloni vorsitzt: Die Kandidatin der EVP erweitert ihre Optionen.
Auch Meloni hat die ersten Züge längst gemacht, um ihren Positionen Gehör zu verschaffen. Nächste Woche bekommt sie übrigens Besuch von Markus Söder, der vergangenes Jahr noch wenig Verständnis hatte für Kontakte seines Parteifreunds Weber nach Rom und rechts. Aber nun, sagte der bayerische Ministerpräsident, habe von der Leyen ihn darum gebeten: Was will man machen. Florian Eder