Der Bundestag ist doch wieder, was er nicht sein will: überwölbt vom Zirkuszelt. Völlig unbeschadet wird heute niemand durch die Wahl eines Richters und zweier Richterinnen an das Bundesverfassungsgericht kommen. Nicht die Kandidaten, nicht die schwarz-rote Koalition, nicht ihr Führungspersonal.
Unruhe in der Union: Die Kandidaten stehen im grellen Licht – ihre Positionen, Papiere, Fernsehauftritte wurden öffentlich gewogen. Im Fall von Frauke Brosius-Gersdorf fiel erneut auf, dass sie das klare Wort pflegt und ihre Positionen in Fragen des Lebensschutzes bei Unionsabgeordneten für gravierende Irritationen sorgen. Gerade die kirchlich Geprägten halten sie für der eigenen Wählerschaft nur schwer vermittelbar – und Friedrich Merz’ unbedingtes Ja zur Kandidatin am Mittwoch für wenig hilfreich. Einige teilten das dem Wahlkreis brieflich mit, einige auch nur der Führung.
Berliner Mühsal: Eine Wahl, wie sie früher im Konsens stattfand, muss nun mit Mühe organisiert werden. Stimmen werden gezählt, Lücken gestopft, Reisen gestrichen. Bauministerin Verena Hubertz etwa bleibt vorsichtshalber in Berlin, statt zur Wiederaufbaukonferenz für die Ukraine nach Rom zu reisen. Schwerer hat es die Union. Ihre Führung steht bei der SPD im Wort.
Dealen und Taktieren: Die SPD hatte angeboten, Brosius-Gersdorf solle nicht Vizepräsidentin, sondern nur einfache Richterin werden – eine instabile Brücke für jene in der Union, die mit einem Nein liebäugeln. Die freuten sich, mindestens still, über einen Anlass, Unmut zu ventilieren: SPD-Generalsekretär Tim Klüssendorf zeigte sich offen für einen Untersuchungsausschuss gegen Jens Spahn – der wiederum tatsächlich beschäftigt mit der Sicherung eigenen Zukunft ist und den Ernst der Lage in Sachen Richterwahl bis zuletzt verkannte.
Eine Niederlage wäre auch seine: Der Unionsfraktionschef hatte zunächst ausgeben lassen, so links sei Brosius-Gersdorf gar nicht – fast schon libertär, was den Sozialstaat angeht, wie das linke Lager ebenso wie Unionisten emsig verbreiteten. Es half wenig. Die Fraktionsführung der Union verlegte sich auf Warnungen vor einer Koalitionskrise – das war schon für die Ampel kein letzter Ausweg. Die Linke verweigert ihrerseits die Mitwirkung an der Zweidrittelmehrheit, weil sie sich nicht gesehen fühlt. Weil aber andererseits auch mit einer Zustimmung zur SPD-Kandidatin Unruhe in der Koalition zu stiften ist – warum nicht? Es ist unübersichtlich.
Mal eben die Welt retten? Der Kanzler kündigte indes in Rom an, heute nochmals Gespräche mit den eigenen Leuten zu führen. Er wird am Morgen der Unionsfraktion Besuch abstatten, um „zu einer gemeinsamen Lösung zu kommen“, wie er sagte – was durchaus offen ließ, mit wem er es nach Hause schicken würde, wenn es keine solche Lösung gäbe.