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Briefing

Platz der Republik,

Nato-Gipfel mit veränderten Vorzeichen

Guten Morgen. Bereits bevor morgen der Nato-Gipfel in Den Haag beginnt, hat sich das Verteidigungsbündnis in einem schriftlichen Entscheidungsverfahren darauf geeinigt, dass die Mitgliedsstaaten jährlich fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Verteidigung investieren werden. So berichten es mehrere Nachrichtenagenturen unter Berufung auf Diplomaten. Berichtet wird aber auch, dass es für Spanien eine Ausnahmeregelung geben soll.

Nach dem Angriff der USA auf iranische Atomwaffenanlagen am Wochenende und der drohenden Eskalation im Nahostkonflikt scheint die Einigkeit des Bündnisses wichtiger denn je. Warum die Nato dennoch vor einem Bruch stehen könnte, lesen heute in unserem Tiefgang.

Willkommen am Platz der Republik.

1.

Nach dem nächtlichen US-Angriff auf iranische Atomanlagen kam es am Wochenende zu mehreren Sondersitzungen. Eine davon führte zu einer gemeinsamen Erklärung von Kanzler Friedrich Merz, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Großbritanniens Premier Keir Starmer. Ziel: eine weitere Eskalation verhindern. Die Initiative ging laut Bundespresseamt von Merz aus – der im Gegensatz zu Starmer nicht vorab über den Angriff informiert worden war.

Diplomatische Hilfe: In der Erklärung bekräftigen die drei Regierungen, den Iran am Besitz von Atomwaffen hindern zu wollen. Der Iran müsse Verhandlungen über ein Abkommen aufnehmen, das alle Zweifel am Atomprogramm ausräume. Europa will dabei vermitteln: „Wir sind bereit, in Abstimmung mit allen Seiten zu diesem Ziel beizutragen.“

Wadephul hält sich bedeckt: Auch Außenminister Johann Wadephul (CDU) sprach sich für eine Verhandlungslösung aus. Es gebe noch „jede Möglichkeit“ zur Deeskalation. Der Iran müsse jetzt direkte Gespräche mit den USA aufnehmen, sagte er im Bericht aus Berlin in der ARD. Wie Merz bot er europäische Unterstützung an. Wadephul vermied eine klare Bewertung des US-Angriffs. Es sei legitim, den Iran am Bau einer Atombombe zu hindern – dieser habe die Regeln gebrochen. CDU-Außenpolitiker Jürgen Hardt hingegen lobte den Angriff: Das iranische Atomprogramm sei vermutlich um Jahre zurückgeworfen worden.

Aus der SPD kamen entgegengesetzte Stimmen: Der Außenpolitiker Rolf Mützenich und der Parteilinke Ralf Stegner (beide Mitverfasser des umstrittenen „friedenspolitischen Manifests“) zeigten sich kritisch. Stegner sagte der Rheinischen Post, es sei kein guter Tag für alle, die auf Frieden hofften. Der außenpolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Adis Ahmetović, nannte die aktuelle Situation „in Spiel mit dem Feuer“.

Trotz aller Appelle: Es ist zweifelhaft, ob sich Washington oder Teheran von europäischer Diplomatie beeindrucken lassen. Eher wird der eskalierende Nahost-Konflikt zum Belastungstest – auch für Schwarz-Rot.

2.

Die AfD ringt um eine gemeinsame Linie im Krieg zwischen Israel und dem Iran. Morgen will der „AK Außen“ der Bundestagsfraktion ein Papier beschließen, wie der außenpolitische Sprecher Markus Frohnmaier ankündigte. Darin: das Bekenntnis zum Existenzrecht Israels, der Appell an beide Seiten zu mehr Transparenz, die Forderung nach offener Straße von Hormus und Gesprächen mit Nachbarstaaten über Migrationsbewegungen.

Einig uneinig: Zuvor gingen die Reaktionen innerhalb der Partei weit auseinander. Parteichef Tino Chrupalla verurteilte Israels Angriffe. Auf X schrieb er am 13. Juni: „Ans Pulverfass Naher Osten ist Lunte gelegt.“ Niedersachsens Landeschef Ansgar Schledde nannte die Angriffe einen „Weckruf für die Mullahs“ und stellte sich hinter Israel. Dominik Kaufner, Landtagsabgeordneter in Brandenburg, warf Israel „ethnische Säuberungen“ und „Staatsterrorismus“ vor.

Lieber heraushalten: Thüringens Landeschef Björn Höcke riet, sich herauszuhalten. Die AfD solle sich auf das konzentrieren, was sie eint: die Innenpolitik. Mitte der Woche riefen die Parteichefs Weidel und Chrupalla in einer kurzen Mitteilung beide Kriegsparteien zur Mäßigung auf.

Neue Lage: Nach den US-Angriffen auf den Iran begann der nächste innerparteiliche Zoff – diesmal über Donald Trump. Der thüringische Abgeordnete Robert Teske, ein Höcke-Vertrauter, warf dem US-Präsidenten vor, sich vom Friedens- zum Kriegspräsidenten zu wandeln. Maximilian Krah schrieb auf X: „I stand with Trump.“ Weidel und Chrupalla bezogen sich auf US-Vizepräsident J.D. Vance und warnten vor einer Eskalation „bis zum bitteren Ende“. Europa solle weiter auf Vermittlung setzen.

Morgen nun der nächste Vermittlungsversuch – in der AfD-Fraktion.

3.

Für die SPD und insbesondere ihr Spitzenpersonal gilt es, in diesen Tagen nochmals Themen zu setzen. Am kommenden Wochenende kommen die Delegierten zum Bundesparteitag in Berlin zusammen. Dort wird auch die Parteiführung neu gewählt; so soll Arbeitsministerin Bärbel Bas die derzeitige Co-Parteivorsitzende Saskia Esken ablösen, Tim Klüssendorf als Generalsekretär offiziell ins Amt kommen.

Beide gehören zum linken Flügel. Kaum ein Zufall, dass sie am Wochenende öffentlich ihre Linie markierten. Bas sagte im Interview mit dem Deutschlandfunk zur Reform des Bürgergeldes, dass ihre Partei nicht damit einverstanden sei, dass man nur schaue, wo man bei den Ärmsten „irgendwas wegsparen“ könne. Dabei würden die Vermögenden immer reicher, aber da werde "nicht hingeguckt", dabei sei das eine Frage der Gerechtigkeit, so Bas.

Mehr soziale Gerechtigkeit: Mit dem Thema versucht die SPD mit neuem Personal und neuem Leitantrag Transferempfängerinnen und -empfänger als Klientel zurückzugewinnen. Das dürfte in der Koalition nicht ohne Streit möglich sein, denn die Union pocht auf eine Reform des Bürgergeldes inklusive schärferer Sanktionen bei Verstößen. Hier hakte Bas ein: Sanktionen würden mit Blick auf die Wirkung auf den Haushalt nicht helfen; die Zahl der „Totalverweigerer“ sei gering.

Apropos Haushalt: Auch der designierte Generalsekretär Klüssendorf nahm die Besserverdiener in den Blick: Im Interview mit der Bild am Sonntag sprach höhere Krankenkassenbeiträge für Gutverdienende aus und begründete das mit der angespannten Finanzlage der Kassen. Eine konkrete Zahl für eine Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze nannte er nicht. Aktuell liegt sie bei gut 5500 Euro im Monat.

Vor dem russischen Großangriff auf die Ukraine 2022 suchte die Nato noch nach ihrer Mission: Terrorismusbekämpfung? Krisenmanagement? Klimasicherheit? Mit der Invasion rückte die kollektive Verteidigung zurück ins Zentrum – strategisch, politisch, militärisch. Das Bündnis wirkte geschlossen, entschlossen, handlungsfähig. Doch der nächste Bruch droht von innen: aus Washington.

In dieser Woche treffen sich die Staats- und Regierungschefs zum Nato-Gipfel in Den Haag. Auf der Agenda steht eine neue Zielmarke: Fünf Prozent der Wirtschaftsleistung sollen künftig für Verteidigung aufgebracht werden – ein Teil davon für militärische Infrastruktur. Ob das ausreicht, damit Donald Trump die Allianz nicht länger als Versammlung von Trittbrettfahrern sieht?

Eine neue Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung kommt zu einem ernüchternden Befund: „Die Nato befindet sich im Zangengriff zwischen der als akut wahrgenommenen äußeren Bedrohung durch Russland und der als nicht minder akut empfundenen inneren Gefährdung durch die US-Regierung.“ Trump könnte das Bündnis nicht nur lähmen – er könnte das Vertrauen unter seinen Mitgliedern zerstören.

Vertrauen ist die entscheidende Währung jeder Allianz. Es garantiert die Beistandszusage, schützt vor dem Gefühl, allein gelassen zu werden – auch davor, in fremde Kriege hineingezogen zu werden. Trumps Außenpolitik aber kennt keine Partner, sondern nur amerikanische Interessen. Wo Deals regieren, ist Vertrauen wenig wert.

Ein formeller Austritt der USA aus der Nato ist zwar unwahrscheinlich, allein das US-Recht macht es kompliziert – und dass Trump kein überzeugter Isolationist ist, wie manche fürchteten, haben die US-Angriffe auf iranische Atomanlagen vom Wochenende gezeigt. Sie haben auch belegt: Europäische Partner waren ahnungslos (und das galt nicht nur für den Bundesaußenminister).

In der Nato-Studie heißt es, „es bestehen wenig Zweifel, dass Trump auch ohne formalen Austritt die Mitgliedschaft praktisch beenden könnte“. Truppenabzug, Blockade im Nordatlantikrat, Sonderdeals mit Russland – alles ist denkbar, manches war bereits reale Drohung.

Trump steht für einen politischen Trend. Die Studie spricht von einem „längerfristig wirkenden“ Wandel – weg von globaler Ordnungspolitik, hin zu einer „Großmacht-Komplizenschaft im Einflusssphären-Konzert“. Die Studie beschreibt drei plausible Entwicklungspfade, was das für die Nato der Zukunft heißen könnte:

Transatlantische Nato minus eins: Die USA bleiben, aber ziehen sich zurück. Europa übernimmt mehr Verantwortung, zahlt mehr, hofft auf Reste amerikanischer Abschreckung. Doch: „Wenn das Interesse der USA so gering ist, dass sie sich nicht oder kaum mehr mit Truppen beteiligen, wird das nukleare Schutzversprechen unglaubwürdig.“

Europäische Verteidigungsunion: Europa organisiert die Sicherheit selbst. Ohne USA, dafür mit Mehrheitsentscheidungen – was einer politischen Revolution gleichkäme. Und einer teuren: mindestens 250 Milliarden Euro jährlich zusätzlich, rechnet das Kieler Institut für Weltwirtschaft.

Nato als Baukasten: Koalitionen der Willigen nutzen die militärische Infrastruktur des Bündnisses – aber ohne Führung, ohne strategische Klammer. Flexibel, aber fragil. „Allianzen ohne hegemoniale Führung“, so die Diagnose, „können Kooperationsprobleme weniger gut abfedern als die Nato, wie wir sie kennen.“

Die Analyse basiert auf einer umfassenden Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung („Die Zukunft der Nato“), die heute veröffentlicht wird. Sie erfasst die sicherheitspolitischen Debatten in elf ausgewählten Mitgliedsstaaten – darunter große Akteure wie die USA, Deutschland, Frankreich oder das Vereinigte Königreich, aber auch kleinere und neue Mitglieder wie Litauen, Finnland und Schweden.

Ziel der Untersuchung war es, die unterschiedlichen Bedrohungswahrnehmungen und Erwartungen an die Allianz vergleichbar zu machen – entlang geografischer Lage, historischer Erfahrung und politischer Kultur. Denn: „Für eine konsensbasierte Organisation wie die Nato ist es von elementarer Bedeutung, die Sichtweisen aller Mitglieder zu verstehen – insbesondere, wenn die Allianz ohne die integrierende Wirkung eines wohlwollenden Hegemonen im Zentrum auskommen muss.“

Das Dilemma: Kompromissangebote an Washington – etwa durch Waffenkäufe in den USA – binden Trump womöglich kurzfristig ein, untergraben aber die dringend nötige europäische Rüstungsautonomie. Umgekehrt kann zu viel europäische Selbstbehauptung als Signal zur Abkehr gelesen werden: Europa steht vor Optionen, von denen jede auch das Gegenteil dessen bewirken kann, was sie bezweckt.

In Berlin setzt man – nicht ganz heimlich – auf Zeitgewinn, aufs Durchlavieren bis zur US-Zwischenwahl 2026, besser noch bis 2028. Der politische Reflex: Bloß nichts entscheiden, was man später bereuen könnte. Das ist riskant: Frankreich drängt auf Europas Autonomie unter dem Schutz der eigenen force de frappe, Polen investiert in nationale Fähigkeiten, Nord- und Osteuropa halten an der transatlantischen Nato fest – aber nicht blind.

Die Studienautoren halten fest: „Jede der sich abzeichnenden Veränderungen der Nato wird sehr kostspielig. Die Form dieser Veränderungen aber entscheidet sich maßgeblich in Washington.“ Die Botschaft dahinter: Sogar um sein eigenes Dilemma zu lösen, braucht Europa die USA – und Trump.

von Florian Eder

4.

Zusatzrente reicht nicht: Die private Vorsorge, neben gesetzlicher Rente und Betriebsrente als dritte Säule der Altersvorsorge gedacht, ist allenfalls eine dünne Stütze. Das zeigt die Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen-Bundestagsfraktion, die der SZ vorliegt.

Demnach machen Einkommen aus privater Vorsorge im Schnitt nur rund sechs Prozent der Bruttoeinkommen im Alter aus. Gemeint sind nicht nur Riester-Verträge, sondern auch andere private Renten- und Lebensversicherungen, Zinseinkünfte sowie Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung. Riester-Renten sind darin nur ein Teil, berichtet Roland Preuß.

Kaum Kennzahlen: Die Antwort offenbart zudem, wie wenig die Bundesregierung über das eigene Förderinstrument weiß – obwohl sie Riester-Verträge jährlich mit Milliarden unterstützt, allein 2022 mit gut 3,5 Milliarden Euro. Angaben zu Abschluss-, Vertriebs- oder Verwaltungskosten? Fehlanzeige. Ebenso zu den Renditen.

Überarbeitung bis zur Mitte der Legislatur: Wann Riester und die private Altersvorsorge überarbeitet werden, bleibt offen. Man arbeite „an einer zügigen Umsetzung der im Koalitionsvertrag vereinbarten Reform“, heißt es. Zudem verweist die Bundesregierung auf eine Rentenkommission, die bis zur Mitte der Legislatur „eine neue Kenngröße für ein Gesamtversorgungsniveau über alle drei Rentensäulen“ entwickeln soll.

5.

Geschmackloses Abimotto: Erst kürzlich hatte ein Gießener Gymnasium für Aussehen gesorgt, weil dort in einer internen Abstimmung unter den Schülerinnen und Schüler über das Abitur-Motto auch Vorschläge wie „NSDABI – Verbrennt den Duden“ oder „Abi macht frei“ Zustimmung fanden. Die Polizei nahm nach Bekanntwerden Ermittlungen auf (SZ Dossier berichtete).

Zahl rechtsextremer Taten an Schulen steigt: Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (FAS) hat mit einer Anfrage bei den Polizeibehörden und Ministerien der Länder herausgefunden, dass das keinesfalls ein Einzelfall ist: Laut dem Bericht hat die Zahl extrem rechts motivierter Vorfälle an deutschen Schulen in den vergangenen Jahren zugenommen.

Fast täglich zehn Vorfälle: Im vergangenen Jahr gab es demnach an jedem einzelnen Schultag mindestens zehn solcher Vorfälle. Zumeist handelte es sich um sogenannte Propaganda-Delikte wie das Malen von Hakenkreuzen oder das Zeigen des Hitlergrußes. Bayern und Hamburg machten keine Angaben.

Nach dem Gutachten des Verfassungsschutzes können wir nicht einfach weitermachen, als wäre nichts gewesen.

Nach SPD-Chef und Vizekanzler Lars Klingbeil sprach sich auch Justizministerin Stefanie Hubig (SPD) in den Funke-Zeitungen für ein AfD-Verbotsverfahren aus

Das Internet vergisst nicht: Das ist mehr als ein Allgemeinplatz, das digitale Gedächtnis ist in der Tat mächtig. So warnen einerseits dieser Tage Kinder- und Jugendschutzverbände Eltern davor, Schnappschüsse ihrer Minderjährigen in den sozialen Medien zu veröffentlichen. Durch Künstliche Intelligenz (KI) sei die Missbrauchsgefahr noch größer geworden, erklärt etwa die Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz. Auch Jahre später böten sie dafür noch eine Grundlage.

An anderer Stelle aber soll die KI das Vergessen verhindern: Weil es immer weniger Holocaust-Überlebende gibt, setzt der Zentralrat der Juden in Deutschland auf Formen der digitalen Erinnerung. „Besonders im Fokus stehen Virtual-Reality-Erlebnisse, digitale Ausstellungen und Computerspiele“, heißt es im Tätigkeitsbericht des Zentralrates für 2024, aus dem die Jüdische Allgemeine zitiert. So sollen „digitale Zeitzeugen“ auch künftigen Generationen von Schülerinnen und Schülern von den Grauen des Holocaust berichten können.

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