Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben
Briefing

Platz der Republik,

Wie sich die Gesundheitspolitik digital verzettelt

Guten Morgen. Von den kanadischen Gipfeln und der Weltpolitik geht es für Bundeskanzler Friedrich Merz heute zurück in die deutsche Innenpolitik: Das Bundeskabinett befasst sich in seiner Sitzung unter anderem mit der hiesigen Wohnungsnot und dem geplanten „Bau-Turbo“.

Das ist zwar auch ein dicker Brocken, aber kein Vergleich zu den internationalen Krisen, mit denen sich Merz und seine G7-Kolleginnen und Kollegen in den vergangenen beiden Tagen beschäftigt haben.

Nach dem Ende des Gipfels teilte Merz gestern abend mit, dass die G7 die Ukraine weiter militärisch unterstützen werden: „Darüber gibt es einen Konsens nicht nur in der Europäischen Union, sondern auch in der Gruppe der Sieben“, sagte Merz. Wie Schwarz-Rot aktuell zum Nahost-Konflikt stehen, lesen Sie heute hier.

Willkommen am Platz der Republik.

1.

Wird Deutschland weiter Waffen an Israel schicken? Ja, wenn es nach der Unionsfraktion geht. „Der offensichtlich willkürliche Beschuss israelischer Zivilisten durch den Iran bestärkt mich in meiner Position: Israel muss an Waffen bekommen, was es zur Selbstverteidigung braucht“, sagte der außenpolitische Sprecher der Union, Jürgen Hardt, SZ Dossier.

Der Koalitionspartner klingt deutlich zurückhaltender. „Im Koalitionsvertrag mit CDU/CSU haben wir festgehalten, dass wir Rüstungsexporte, bei denen ein erhebliches konkretes Risiko besteht, dass diese zur internen Repression oder in Verletzung des internationalen Rechts eingesetzt werden, grundsätzlich ablehnen“, sagte Adis Ahmetović, außenpolitischer Sprecher der SPD, SZ Dossier. Diese Fragen müssten „immer wieder anhand der konkreten Anfragen“ beantwortet werden.

„Drecksarbeit“: Zur Legitimität des israelischen Vorgehens sagte CDU-Mann Hardt, „der Raketenbeschuss der durch den Iran gesteuerten Houthis wie auch die konkret geäußerten Vernichtungspläne des Mullah-Regimes scheinen mir geeignet, das israelische Vorgehen auch völkerrechtlich zu legitimieren“. Bundeskanzler Friedrich Merz drückte es im ARD zugespitzter aus: „Das ist die Drecksarbeit, die Israel macht für uns alle.“

Auch hier hält sich die SPD zurück. „Zum israelischen Vorgehen stellen sich Fragen, nicht nur nach der völkerrechtlichen Grundlage“, sagte Ahmetović. Was zum jetzigen Zeitpunkt klar sei: die politische Dimension: „Eine diplomatische Lösung im Atomstreit mit dem Iran wird es absehbar nicht geben. Das war aber das Interesse der Europäer und der USA, die bis vergangener Woche mit dem Iran verhandelt haben.“

Phrasenalarm: „Flächenbrand“. Aus Hardts Sicht solle Deutschland vermitteln, um einen „regionalen Flächenbrand“ zu vermeiden. Sein Ziel ist dennoch klar: „Am Ende eines Friedensprozesses gibt es ein wichtiges strategisches Ziel: einen atomwaffenfreien Iran“, sagte er. Ahmetović betonte, alle, die dazu einen Beitrag leisten können, sollten mitwirken: „Jetzt geht es darum zu deeskalieren und den Konflikt einzugrenzen.“

Wadephuls Hoffnung: Außenminister Johann Wadephul (CDU) möchte derweil bald wieder über Irans Atomprogramm verhandeln. „Wenn das ernsthaft weiterverfolgt wird, dann gibt es dafür auch eine Aussicht, recht bald.“ Merz bot europäische Hilfe für Iran an, sollte es zur Aufnahme neuer diplomatischer Gespräche kommen. „Wir wären bereit, uns daran zu beteiligen, so wie ja vor diesem Angriff Israels auch“, sagte Merz gestern bei Welt TV. Er geht von einer Schwächung des iranischen Regimes aus.

2.

Der „Aktivrente“ soll Ältere locken, freiwillig länger zu arbeiten. Doch der Steuerbonus könnte den Staat mehr kosten, als er bringt, wenn nicht genug Ältere mitmachen. Das zeigt eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), die der SZ vorliegt und über die Bastian Brinkmann berichtet.

Nicht nur für Neueinsteiger: Profitieren würden zunächst vor allem jene, die schon heute über das Rentenalter hinaus arbeiten – laut DIW rund 230 000 Menschen, meist mit höheren Einkommen. Für sie bräuchte es eigentlich keinen Anreiz mehr, trotzdem hätten sie mehr Netto vom Brutto. Kostenpunkt: rund 800 Millionen Euro pro Jahr. Das DIW warnt vor einem teuren Mitnahmeeffekt. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann widerspricht: Die Aktivrente sei „eine vollkommen neue Idee“, Studien könnten nur mit Annahmen arbeiten – sicher sei, dass es ein großes Potenzial gebe. Leistung werde honoriert, nicht subventioniert.

Aus ökonomischer Sicht bleibt es eine Wette: Damit sich die Reform rechnet, müssten mindestens 75 000 zusätzliche Rentner einen Job annehmen. Dann gleichen höhere Sozialbeiträge die Steuerausfälle aus, das Bruttoinlandsprodukt würde laut DIW um 0,1 Prozent steigen. Ob das klappt, ist offen – und macht die Aktivrente zu einem fiskalisch riskanten Experiment.

Auch die Bundesbank ist skeptisch: Sie schlägt n einem neuen Report eine andere Richtung vor. Das Renteneintrittsalter solle an die Lebenserwartung gekoppelt, die „Rente mit 63“ gestrichen werden. Ihr Argument: Es sei widersprüchlich, wenn der Staat Frühverrentung fördert und gleichzeitig einen Bonus zahlt, um sie wieder rückgängig zu machen.

3.

Den ganzen Tag wollte Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) gestern mit den Vertreterinnen und Vertretern von Ländern und Kommunen über die Steuerausfälle reden, die sein „Investitionsbooster“ verursacht. Was es gebracht hat, wird sich heute bei der Ministerpräsidentenkonferenz zeigen.

Der Zeitplan: Soll das Gesetz noch vor der Sommerpause verabschiedet werden, ist der 11. Juli das entscheidende Datum. Da findet die letzte planmäßige Sitzung des Bundesrates vor der Unterbrechung statt. Bis dahin braucht es also eine Verständigung zwischen Bund und Ländern, andernfalls könnte Klingbeils Gesetz erst einmal im Vermittlungsausschuss landen. Der Finanzminister selbst rechnet jedoch nicht damit, dass es heute schon zu einer Einigung kommt, wie er am Montag bei einer Veranstaltung der Rheinischen Post sagte. NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) mahnte gestern, sich mit der Lösung nicht bis zum Vorabend des 11. Juli Zeit zu lassen – sonst drohe am Ende wirklich der Vermittlungsausschuss. „Wenn wir vorher nicht zu Potte kommen, landet es da“, sagte Wüst.

Zahlen, bitte: Wüst pocht – wie etliche seiner Kollegen in den Ländern – auf eine Kompensation der Steuerausfälle. Zur Begründung verwies er gestern auf die angespannte finanzielle Situation in seinem Landeshaushalt und bei den Kommunen in NRW. „Wir schwimmen hier jetzt nicht gerade wie das Fett auf der Suppe“, sagte Wüst.

Die Extrawünsche: Kompliziert sind die Verhandlungen auch, weil der Bund auf 16 Länder mit unterschiedlichen Ausgangslagen und Interessen trifft. Vor allem Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) liegen die Senkung der Mehrwertsteuer in der Gastronomie und die Erhöhung der Pendlerpauschale am Herzen, beides belastet aber auch die Haushalte der Länder und Kommunen. Sollte eines der beiden Vorhaben aber nicht zum 1. Januar 2026 in Kraft treten, wäre es für die CSU ein herber Rückschlag – sie wirbt bereits damit, ihr Wahlkampfversprechen eingehalten zu haben und kann dahinter nur schwer zurück.

Sonderwünsche auch im Westen: NRW-Ministerpräsident Wüst hat ebenfalls ein Anliegen auf dem Zettel, bei dem er – mit Hilfe des Bundes – gerne Fortschritte sähe. Das Sondervermögen könne in NRW nur dann ein Erfolg werden, „wenn das unbürokratisch läuft und wenn wir die Altschuldenregelung parallel hinkriegen“. Sein Argument: Die Mittel für Investitionen seien wenig hilfreich, wenn Städte und Gemeinden so verschuldet seien, dass ihnen das Personal fehle, um die Vorhaben abzuwickeln. Wüst forderte Klingbeil daher auf, noch vor der Sommerpause einen Gesetzentwurf zum Abbau der kommunalen Altschulden vorzulegen. Allerdings: Hoch verschuldete Kommunen sind nur in wenigen Bundesländern – und hauptsächlich in NRW – ein Problem, noch dazu eines, dessen Lösung teuer ist.

Klebrige Finger? Der Bund befürchte, die Länder könnten seine Mittel nicht an die Städte und Gemeinden weitergeben, berichtet die Rheinische Post. Deshalb biete er an, den Kommunen lieber direkt zu helfen. Offen ist also auch, wer am Ende von den Kompensationen profitieren soll.

Kaum im Amt, muss sich Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU) mit gleich mehreren Altlasten befassen – von „Maskendeals“ ihres Parteifreundes Jens Spahn bis zur Krankenhausreform ihres direkten Vorgängers Karl Lauterbach (SPD). Besonders dringlich ist aber die Digitalisierung des Gesundheitswesens – ein Großprojekt, das viel zu lange von Zwischenlösungen, Hardwarezwängen und föderalen Flickenteppichen geprägt war.

Aktuell sorgt ein verpflichtendes Sicherheitsupdate für Unruhe in Arztpraxen und Kliniken. In der sogenannten Telematikinfrastruktur (TI), also dem digitalen Netz der Gesundheitsversorgung, müssen zentrale Komponenten bald eine neue Verschlüsselungstechnologie unterstützen. Die bisher verbreitete RSA-Verschlüsselung gilt als veraltet – und ist nur noch bis Ende 2024 zugelassen.

Betroffen sind unter anderem sogenannte Konnektoren, kleine Hardware-Boxen, die den Zugang zur TI ermöglichen. Viele von ihnen lassen sich nicht einfach per Software aktualisieren – sie müssen schlicht ausgetauscht werden. Das kostet Geld, Aufwand und Nerven, und die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) würde all das gern vermeiden. Sie warnte Mitte Mai in einem Brandbrief vor einem „nicht zu bewältigenden Kraftakt“ und fordert eine Verlängerung der Frist bis Ende 2027.

Die Warnung: Erfolgt der Austausch beziehungsweise die Aktualisierung dieser Komponenten nicht bis zum Stichtag, könnten Anwendungen wie das E-Rezept nicht genutzt werden und müssten wieder per Papier ausgestellt werden. Die KBV warnte vor einem „erheblichen Imageschaden“ für die Digitalisierung des Gesundheitswesens, für den sie selbst selbstredend nichts könne.

Die zuständigen Behörden – das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) und die Bundesnetzagentur – bleiben bislang hart. Die modernere ECC-Verschlüsselung sei technisch zwingend, heißt es. Die Frist war zudem schon länger bekannt. Die Gematik, die Digitalagentur des Gesundheitsministeriums, versucht zu beruhigen: Man arbeite mit Hochdruck am Übergang.

Langfristig soll die TI ohnehin grundlegend umgebaut werden. Ziel ist ein System, das ohne Kartenlesegeräte und Konnektoren auskommt. Praxen und Kliniken sollen sich etwa über zertifizierte Rechenzentren per VPN verbinden können – schneller, stabiler, wartungsfrei. Die Verantwortung für Betrieb und Sicherheit läge dann nicht mehr bei den Einrichtungen selbst.

Auch bei der Authentifizierung soll sich vieles ändern. Ärztinnen und Ärzte, Pflegepersonal und Patientinnen könnten künftig über digitale Identitäten arbeiten – zum Beispiel über Smartphones. Für Patienten gibt es bereits eine Gesundheits-ID. Mehr als 2,7 Millionen Menschen sind laut Gematik registriert.

Doch Deutschland hat sich hier, wie so oft, eine eigene Insellösung gebaut – obwohl mit dem elektronischen Personalausweis (E-Perso) längst eine digitale Identität verfügbar wäre. Weil der bislang kaum genutzt wird, entstand eine zweite, sektorspezifische Lösung. Warkens Herausforderung wird es sein, diese beiden Stränge zusammenzuführen.

Eine Chance dafür bietet die europäische Eudi-Wallet, die bis Ende 2026 verpflichtend eingeführt werden muss. Sie soll grenzüberschreitend funktionieren – auch für das digitale Ausweisen im Gesundheitswesen.

Abonnentinnen und Abonnenten unseres Dossiers Digitalwende konnten eine ausführliche Version dieses Texts bereits am Montag lesen.

von Miriam Dahlinger

4.

Neue Höchstzahl bei antimuslimischem Rassismus: Im Jahr 2024 sind nach Angaben der Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit (Claim) mit 3080 antimuslimischen Vorfällen bundesweit so viele Übergriffe wie noch nie dokumentiert worden. Das bedeute einen Anstieg um 60 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Mehr als die Hälfte der Fälle waren demnach verbale Angriffe, wie aus der gestern vorgelegten Jahresbilanz der Allianz hervorgeht.

Frauen am stärksten betroffen: In 71 Prozent der Fälle sind laut Lagebericht Frauen betroffen gewesen. Die Bundesvorsitzende des Sozialdienstes muslimischer Frauen, Ayten Kılıçarslan, sagte am Dienstag im Radiosender WDR 5, bei Frauen mit Kopftuch sei die Religionszugehörigkeit besonders erkennbar, und deshalb würden sie häufiger Ziel von antimuslimischem Rassismus.

Besonders bizarr: In einigen Fällen wird die Verharmlosung des Holocausts bei Sachbeschädigungen und Beleidigungen mit Hass auf Muslime verknüpft, wie Claim feststellte. Die Allianz berichtete von 13-jährigen Mädchen, die in Dresden von Rentnerinnen als „Kopftuchjuden“ beschimpft worden seien, und von Moscheen, die mit Hakenkreuzen beschmiert wurden.

5.

Union legt bei Sonntagsfrage zu: Die aktuelle YouGov Sonntagsfrage zeigt einen sich weiter vergrößernden Abstand zwischen CDU/CSU und AfD. Während die Union mit 28 Prozent leicht über dem Ergebnis vom Vormonat Mai liegt (plus ein Prozentpunkt), verliert die AfD zwei Prozentpunkte und steht im Juni bei 23 Prozent. Die SPD liegt bei 14 Prozent (minus ein Prozentpunkt).

Mehrheit der Deutschen für mehr Diplomatie im Ukraine-Krieg: Mehr als die Hälfte (52 Prozent) der deutschen Wahlbevölkerung befürwortet die Forderungen führender SPD-Politiker zur Kursänderung in der Außenpolitik der Bundesregierung im Hinblick auf den russischen Angriffskrieg, während knapp ein Drittel (31 Prozent) sie (eher) ablehnt.

6.

Neuer Verfassungsschutzchef in Brandenburg: Der Vizepräsident des Berliner Verwaltungsgerichts, Wilfried Peters, wird neuer Verfassungsschutzchef in Brandenburg. Der 62-Jährige tritt das Amt zum 14. Juli an, wie das Potsdamer Innenministerium mitteilte.

Im Mai war eine Debatte über die Unabhängigkeit des Nachrichtendienstes als eine Abteilung im Innenministerium entbrannt. Peters folgt nun auf Ex-Verfassungsschutzchef Jörg Müller, den die frühere SPD-Innenministerin in einem Streit um die Einstufung der Landes-AfD entlassen hatte.

Es ist keine Seltenheit, dass die Hälfte der Termine nicht wahrgenommen wird. Ich finde, daran müssen wir etwas ändern.

Beim „Tag der Jobcenter“ in Berlin kündigte Arbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) Verschärfungen bei Bürgergeld-Versäumnissen und eine zeitnahe Reform des Gesetzes an

Im Journalismus heißt es ja gemeinhin: „Only bad news is good news“ (Nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten). Gemeint ist damit, dass Berichte etwa über Katastrophen oder Skandale mehr Interesse erzeugen und sich besser verkaufen als positive Geschichten.

Doch Befragungen für den jüngsten internationalen „Reuters Institute Digital News Report 2025“ zeigen: Wenn es zu viele schlechte Nachrichten werden, schalten manche Rezipienten lieber auf Durchzug.

Demnach vermeiden 71 Prozent der erwachsenen Internetnutzer in Deutschland zumindest gelegentlich aktiv den Nachrichtenkonsum. Der Grund: Negative Auswirkungen auf die eigene Stimmung – etwa durch viele Berichte über Kriege und Konflikte.

Feedback

Wir freuen uns über Ihre Meinung zum Süddeutsche Zeitung Dossier.