Am Tag nach Merz‘ Kanzler-Wahl bleibt die Frage, wie hoch der politische Preis war, den vor allem die Union dafür zahlen musste. Schließlich war der zweite Wahlgang am selben Tag nur durch die Hilfe von Grünen und Linken möglich. Das bringt eine alte Debatte zurück auf die Tagesordnung.
Der sogenannte Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU regelt, dass „Koalitionen und ähnliche Formen der Zusammenarbeit“ sowohl mit der Linken als auch mit der AfD ausgeschlossen sind. Die Frage ist nun, was dieser Beschluss noch wert ist. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann saß am Dienstagabend in der Talkshow von Markus Lanz im ZDF und sagte: „Der Unvereinbarkeitsbeschluss gilt.“ Linnemann beschwichtigte: Auch in der Vergangenheit hätten sich die Parlamentarischen Geschäftsführer schon über Verfahrensfragen ausgetauscht.
Neue Realitäten, neue Töne: Kanzleramtsminister Thorsten Frei klang bei RTL und ntv anders: „Mit Sicherheit sind wir in einer Situation, in der wir die ein oder andere Frage neu bewerten müssen.“ Man habe jetzt ein weiteres Mal sehen können, was es für ein Problem ist, wenn man nicht absehbar eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag organisieren könne, sagte Frei. Am Ende gehe es um pragmatische Lösungen für das Land.
Das hört sich sehr danach an, als hätte der Unvereinbarkeitsbeschluss nicht mehr die allerhöchste Priorität. Frei sagte allerdings auch, man könne Parteitagsbeschlüsse nicht mit einem Federstrich außer Kraft setzen. Mehrere Unionsabgeordnete wollten sich auf Anfrage nicht äußern.
Worauf es den Linken ankommt: Für die Linken sei in den Gesprächen am Dienstag klar gewesen, dass sie nicht nur Stimmenbeschaffer sein, sondern auch in Zukunft eingebunden werden wollen, heißt es aus Parteikreisen. In der Partei weiß man, dass die eigenen Stimmen wieder gebraucht werden – etwa wenn es zu einer Grundgesetzänderung in Sachen Schuldenbremse kommen sollte. Da will die Linke mitmischen. „Wir werden keinem Gesetz zustimmen, an dem wir nicht beteiligt sind“, heißt es aus Parteikreisen.
Die symbolische Wirkung: Darüber hinaus sei Bedingung gewesen, dass es keine Parallelabsprachen mit der AfD gibt. Auch die politische und symbolische Wirkung sei der Linken wichtig gewesen, dass also Union, SPD und Grüne den Antrag zur Änderung der Geschäftsordnung gemeinsam mit der Linken stellen.
Neues Selbstverständnis: Das Ergebnis der Bundestagswahl (8,8 Prozent) gibt der Partei Auftrieb: „Wir sind jetzt so stark in den Bundestag eingezogen, dass die anderen nicht mehr an uns vorbeikommen“, hieß es aus Parteikreisen. Jetzt sieht die Linke ihre Chance, sich weiter zu etablieren, es dürfe von Seiten der Union keine Gleichbehandlung der Linken mehr mit der AfD geben, stattdessen brauche es eine Kultur des Miteinanders. Über den Unvereinbarkeitsbeschluss mit seiner Partei sagte Christian Görke, Parlamentarischer Geschäftsführer der Linken, gestern: „Diese Lebenslüge hat mich nie interessiert, denn sie war und ist politisch realitätsfern und mit den gestrigen Entscheidungen der Union mausetot!“
Die Leitung steht: Die Geschichte, dass in der Union nur Alexander Dobrindt einen Kontakt zur Linken hatte (die Nummer von Ex-Parteichefin Janine Wissler), stimme aber, heißt es von führenden Linken. Auch das zeige, wie unvorbereitet die Union gewesen sei. Für den nächsten Fall dürfte die Leitung aber stehen.