Gleich nach der Kanzlerwahl beginnt nächste Woche ein großer Umbau an der Spitze der Bundesverwaltung: Ein neues Digitalministerium wird geschaffen, große Häuser wie das Innen- und das Wirtschaftsministerium verlieren Zuständigkeiten. CDU-Mann Thorsten Frei, designierter Chef des Bundeskanzleramts, sagte gestern, der Organisationserlass, den Friedrich Merz an Tag eins verschicken werde, sei „einigermaßen anspruchsvoll“, weil es „einige Veränderungen in die eine oder andere Richtung“ geben werde. „Das ist deshalb nicht ganz unkompliziert, weil man das idealerweise mit betroffenen Koalitionspartnern auch abstimmt“, sagte Frei.
Organisationsfragen sind Machtfragen, deshalb wird um Details gerungen. Im Innenressort steht ein größerer Umbau bevor. Nicht wehren kann sich das Haus dagegen, dass die Abteilungen für digitale Gesellschaft und digitale Verwaltung in das neue Digitalministerium wandern. Das betrifft vier Unterabteilungen und 19 Referate. Sie sitzen bereits jetzt separiert in der Englischen Straße in Berlin, das BMI hat dort vor wenigen Jahren seine Digitalabteilungen zusammengezogen. Gegebenenfalls ein Vorteil: Will man die komplexe Gebäudesuche für das neue Digitalministerium überbrücken, gäbe es dort eventuell schon einen räumlichen Nukleus, um sofort mit der Arbeit zu beginnen.
Ein offener Streitpunkt ist noch, ob die Zuständigkeiten für Cybersicherheit – und damit in Teilen auch für das mächtige Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) – in das Digitalressort wechseln. Sollte das passieren, könnte ein Verwaltungsrat aus Innen- und Digitalressort sowie dem Kanzleramt (als „Schiedsrichter“) sich die politische Steuerung teilen, wie aus einem Papier hervorgeht, das SZ Dossier vorliegt. Verschiedene Behörden aus dem nachgelagerten Bereich haben es gemeinsam verfasst. Dass das Innenressort in irgendeiner Form ein Mitspracherecht behalten muss, scheint jedoch klar.
Dass Organisationsfragen Machtfragen sind, lässt sich auch am Beispiel Sport schön ablesen. Dafür soll es innerhalb der Bundesregierung künftig eine neue Stelle geben. Die CDU-Politikerin Christiane Schenderlein wird Staatsministerin für Sport und Ehrenamt, angesiedelt im Kanzleramt. Im Sport geht es um wichtige Weichenstellungen wie die Bewerbung um Olympische Spiele. Welche Kompetenzen und welche Mittel Schenderlein allerdings zur Verfügung haben wird, muss der Organisationserlass klären.
Bislang ist für den Sport nämlich hauptsächlich das Innenministerium zuständig, dort kümmert sich eine eigene Abteilung mit mehreren Referaten um das Thema. Fraglich ist nun, ob die zu Schenderlein ins Kanzleramt wechselt. Sollte das nicht der Fall sein, wäre die Kompetenz für Sport weiterhin auf mehrere Häuser verteilt, Schenderlein stünde als Königin ohne Land und ohne Apparat da. So könnte auch eine potenzielle Konfliktquelle zwischen Kanzleramt und BMI entstehen.
Nicht hilfreich wäre die Situation für Schenderlein auch deshalb, weil sie selbst keinen sportpolitischen Hintergrund hat. In den Koalitionsverhandlungen leitete sie aufseiten der CDU die Arbeitsgruppe Kultur und Medien, im Bundestag war sie kulturpolitische Sprecherin der Unionsfraktion.
In gleich mehrere Richtungen werden Kompetenzen aus dem Wirtschaftsministerium abwandern. Das Haus ist mit elf Abteilungen und 39 Unterabteilungen nicht gerade klein, bis vor Kurzem saßen wegen Platzmangels nicht einmal alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der zentralen Abteilung Wirtschaftspolitik im Hauptsitz des Ministeriums in der Berliner Scharnhorststraße. Die Abteilung Klimaschutz geht zurück an das SPD-geführte Umweltministerium. Sollte das BMWK die Abteilung komplett verlieren (noch ist das unklar), wäre davon auch die Zuständigkeit für den Emissionshandel (ETS) betroffen. Das ist aber eines der zentralen Instrumente zur Steuerung der Energiewende, für die die neue Chefin des Hauses, Katherina Reiche (CDU), als Energieministerin ja zuständig bleibt.
Spannend wird auch die Aufteilung der Abteilung für Digital- und Innovationspolitik. Da alle Wirtschaftsbereiche einschließlich Mittelstand mehr Digitalisierung brauchen, wird sich die neue Ministerin wohl nicht alles vom neuen Digitalministerium wegnehmen lassen. Im Wirtschaftsministerium liegen wichtige Zuständigkeiten – von Künstlicher Intelligenz über Datenrecht bis zur Digitalisierung des Mittelstands. Das Wirtschaftsressort hatte etwa den europäischen AI Act mitverhandelt. Zudem ist in seinem Geschäftsbereich die Bundesnetzagentur (BNetzA) angesiedelt, die gerade dabei ist, diverse Aufsichtspflichten im Digitalen anzuhäufen. Für den Digital Services Act (DSA) ist diese bereits zuständig, der AI Act und der Data Act könnten folgen.
Wandern Zuständigkeiten aus dem Wirtschafts- in das Digitalressort, könnte die BNetzA zerteilt werden, wie der Verband Bitkom kürzlich vorschlug. In der Abteilung gibt es auch Referate für Games (Computerspiele) und Künstliche Intelligenz, auf die die neue Forschungs- und Technologieministerin Dorothee Bär Anspruch erhebt. Aus der industriepolitischen Abteilung werden Referate zur Raumfahrt einschließlich der Zuständigkeiten für DLR und ESA in Richtung Bär abwandern.
Die CSU-Politikerin kann die Referate voraussichtlich in den Teil des bisherigen Bildungs- und Forschungsministeriums eingliedern, die den Kern ihres neuen Ressorts ausmachen. Sie hat auch gute Chancen, in das moderne Gebäude des bisherigen Bildungsministeriums einzuziehen und dessen Zentralabteilung zu übernehmen. Die für Bildung zuständigen Teile wandern in das Familien- und Frauenministerium, das bisher mit nur fünf Abteilungen schlank aufgestellt ist.
Um noch mehr Geld als bei der Raumfahrt und Technologieförderung geht es beim KTF, dem Klima- und Transformationsfonds. Der muss laut Koalitionsvertrag auch einen Teil der Bahn-Infrastruktur finanzieren. Ob er aber im Wirtschafts- oder im Umweltministerium verwaltet wird, ist noch unbekannt.
Nicht alle Details und erst recht nicht die technische Integration von Abteilungen und Referaten in andere Ministerien werden im Organisationserlass stehen. Dafür wird es Verwaltungsvereinbarungen zwischen den Häusern geben. Daraus werden die Beamten und Angestellten einiges über Pragmatismus und Durchsetzungsfähigkeit ihrer neuen Chefs lernen können. Peter Ehrlich, Tim Frehler, Fabian Löhe, Matthias Punz, Gabriel Rinaldi