Bei der Digitalisierung der Verwaltung könnte ein Paradigmenwechsel bevorstehen: Die kommende Bundesregierung will gemeinsam mit den Ländern den Artikel 91c des Grundgesetzes reformieren. In Zukunft soll der „Bund digitale Verwaltungsverfahren und Standards regeln und IT-Systeme errichten, betreiben und zur Mitnutzung zur Verfügung stellen“ können, heißt es im Koalitionsvertrag.
Was weitreichende Konsequenzen haben würde: Derzeit ist es nämlich rechtlich komplex, Systeme zu betreiben, die von Bund, Ländern und Kommunen gemeinsam genutzt werden. Zuständigkeitsgrenzen aus der analogen Welt stehen Bedarfen in der digitalen im Weg.
„Es ist spannend, dass das Errichten, Betreiben und Mitnutzen von IT-Systemen ausdrücklich genannt wird“, sagte Margrit Seckelmann, Professorin für Öffentliches Recht und das Recht der digitalen Gesellschaft an der Universität Hannover, im Gespräch mit SZ Dossier. „Das wäre nun wirklich ein Fortschritt.“
Der bestehende Artikel 91c aus dem Jahr 2009 sieht in Absatz 4 lediglich vor, dass der Bund „zur Verbindung der informationstechnischen Netze des Bundes und der Länder ein Verbindungsnetz“ errichten darf – und entsprechende Details in einem Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrats zu regeln seien. Über die Auslegung dieser Passage herrscht seit Jahren Uneinigkeit. Es sei etwa umstritten gewesen, „ob errichten auch betreiben heißt“, sagte Seckelmann.
Was der Artikel genau festlegt: Absatz 1 regelt, dass Bund und Länder bei der IT zusammenarbeiten dürfen. Absatz 2 ist die Grundlage für sogenannte IT-Staatsverträge, in denen Bund und Länder für einzelne Vorhaben festschreiben können, unter welchen Bedingungen – zum Beispiel bei der Finanzierung oder Projektsteuerung – sie kooperieren wollen. Absatz 3 hat lediglich deklaratorischen Charakter. Absatz 5 stellt wiederum die verfassungsrechtliche Basis für das Onlinezugangsgesetz (OZG) dar und wurde 2017 hinzugefügt.
Die anderen Formulierungen stammen aus dem Jahr 2009 – auch der viel diskutierte Absatz 4. Damals ging es darum, die politische Mehrheit für eine Reform zu nutzen, dabei wollten die Beteiligten pragmatisch vorgehen, sagte Seckelmann. Im Gesamtprojekt der „Föderalismusreform II“ lag der Fokus vor dem Hintergrund der internationalen Finanzkrise auf dem Finanzteil. Die IT-Zusammenarbeit war nur ein Nebenschauplatz der Debatten.
Doch vieles ist laut Seckelmann auf Grundlage der bestehenden Formulierung möglich. Für eine innovative Auslegung des Grundgesetzes sei aber politischer Konsens eine Grundvoraussetzung. Und der war in den vergangenen Jahren nicht immer da. Die Bundesländer blockierten etwa ein „OZG 2.0“ im Frühjahr vergangenen Jahres zwischenzeitlich im Bundesrat. Es helfe nicht, wenn rechtlich alles sauber war, aber die Mehrheit der Länder nicht mitmachen wolle, so die Forscherin.
Die Debatten rund um das OZG-Folgegesetz zeigten, „dass es am besten ist, wenn das nun einmal sauber und langfristig mit einer Grundgesetzänderung geklärt wird“, sagte Seckelmann.
Sie hofft, dass es – über den Artikel 91c GG hinaus – zu einer grundsätzlicheren Neuordnung, also einer dritten Föderalismusreform, kommt. „Man könnte jetzt die Fehler der vergangenen zwei Reformen korrigieren“, sagte sie.
Die Rechtswissenschaftlerin meint damit etwa das sogenannte Kooperationsverbot aus dem Artikel 104b des Grundgesetzes. Seit der „Föderalismusreform I“ aus dem Jahr 2006 kann der Bund nämlich Kommunen nicht mehr direkt finanzieren oder ihnen Aufgaben zuweisen. Die Konsequenz: Bei großen Förderprogrammen wie dem Digitalpakt Schule muss der Bund Geld an die Länder überweisen, die die Mittel dann weiterreichen. Matthias Punz
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