Der eine ist ein hochgewachsener Haudrauf, der selbsternannte „Mann der klaren Worte“, der andere der schmächtige Stille, an dem jegliche Kritik einfach abzuperlen scheint. Wenn am Sonntag die beiden Kanzlerkontrahenten Friedrich Merz (CDU) und Olaf Scholz (SPD) beim TV-Duell aufeinandertreffen, ist mit einer harten Konfrontation zu rechnen, der sich beide wohl auf die jeweils eigene Art stellen werden.
SZ Dossier hat den erfahrenen Rhetorik-Coach Stefan Wachtel gefragt, worauf es bei der Vorbereitung auf das Duell ankommt. Wachtel hat bereits viele Unternehmenschefs und zwei Bundesminister in ihrem Auftreten geschult – nicht jedoch die beiden Kontrahenten im Rennen ums Kanzleramt. Das ist ihm wichtig zu betonen, denn sonst könne er hier keine unabhängige Aussage tätigen.
„Klar ist: Beide müssen vorher festlegen, welche Rolle sie spielen wollen“, rät Wachtel, und diese auch gut genug trainieren. „Es wird häufig gedacht, man müsse sich nur authentisch genug geben, aber das ist falsch.“ Dass das nicht funktioniert, habe man etwa bei Peer Steinbrück oder Martin Schulz gesehen, die mit dieser Taktik als Kanzlerkandidaten gescheitert seien. „Aber Angela Merkel hat ihre Rolle immer gut gespielt und hatte damit Erfolg. Sie bediente die treusorgende Mutter, ein bewährtes Muster.“
Wachtel vermutet, dass sich Merz weiter in der Rolle des strengen Landesvaters, der auf den Tisch haut und sagt ‚So geht es nicht weiter‘ bewegen werde. Er rede damit „dem Volk nach dem Bart“; bediene, was ein großer Teil der Menschen in Deutschland vom Kanzler erwarte: Führungsstärke, Durchsetzungskraft. Rhetorisch mache er das gut, er rede immer pointierter, kraftvoller, lauter. „Man muss nur aufpassen, denn irgendwann schlägt sowas um in etwas Unsympathisches“, so Wachtel.
Doch beide seien „Populisten reinsten Wassers“. Scholz hingegen bediene die zu Merz gegensätzliche Rolle: Er schweige, ignoriere Probleme, „merkele sie weg“, analysiert der Rhetorik-Coach. „Er ist für diejenigen da, die sagen, das wird schon wieder, das schaffen wir schon.“ Er halte das für „die ganz große Kunst“, denn Scholz erscheine authentisch, sei es aber nicht. „Auch er spielt eine Rolle, aber er spielt sie sehr gut.“
Bei dem Duell sei es wichtig, sich nicht in zu langen Reden zu verlieren, rät Wachtel. Als „etwas sehr Deutsches“ bezeichnet er die Praxis, dass sehr viel Wert auf eine gut geschriebene Rede gelegt werde. „Aber weder Scholz noch Merz brauchen Text, die brauchen einen guten Spruch.“ Ein paar handschriftliche Notizen würden da reichen, es gehe nicht darum, die Wahlprogramme zu elaborieren. „Das Format des TV-Duells wird ja immer stärker an den amerikanischen Vorbildern angelehnt. Das Publikum will dabei auch unterhalten werden.“
Zu den Fallstricken der Live-Sendung sagt Wachtel, eine hohe Konzentration sei zu jeder Zeit des Duells extrem wichtig. „Und es braucht viel Training, in kurzen Sätzen, knackig und unterhaltsam zu reden.“ Die große Herausforderung werde sein, unter dem Stress des Duells auch noch originell zu sein und ein wenig provozieren zu können. Lange, komplizierte Sätze und die von ihm gewohnte Bräsigkeit könnten für Amtsinhaber Scholz zur Gefahr werden, glaubt Wachtel. Merz hingegen könnte dessen ab und an auftretende Arroganz Minuspunkte bringen.
Wachtels Prognose, wer das Duell für sich entscheiden wird: „Ich glaube, Merz hat die besseren Chancen. Er ist der Angreifer, der von seinem gesteigerten Selbstbewusstsein getragen ist. Er hat das größere Sendungsbewusstsein.“ Das könne ihn beflügeln, prognostiziert Wachtel, er könnte mutiger sein als Scholz: „Merz hat einen rhetorischen Vorsprung. Aber ob er den auch richtig nutzen wird, oder ob er darauf ausrutscht, wissen wir erst am Sonntag.“
„Das Duell – Scholz gegen Merz“ wird von den Talkmasterinnen Maybrit Illner und Sandra Maischberger live moderiert und am Sonntag, 9. Februar, um 20.15 Uhr zeitgleich von ARD und ZDF übertragen.