Der Wahlkampf ist in der heißen Phase angekommen. Was sonst ohnehin bedeutet, dass Ton und Tempo der öffentlichen Debatte anziehen, wurde durch die sehr kontroverse letzte Sitzungswoche der Legislaturperiode weiter angeheizt. Diese trieb am Wochenende allein in Berlin fast 200 000 Menschen auf die Straße. Doch während die Demos überwiegend friedlich abliefen, sehen sich Politikerinnen und politisch Aktive im aktuellen Wahlkampf immer mehr Anfeindungen und Übergriffen ausgesetzt.
Eine Abfrage bei sechs Parteien hat ergeben, dass sich Pöbeleien, Sachbeschädigungen und Angriffe im jetzigen Wahlkampf jedoch sehr unterschiedlich verteilen:
So kann das BSW von keinen nennenswerten Übergriffen berichten. Man habe in der Parteizentrale in Berlin lediglich Kenntnis über einige beschmierte Wahlplakate in Mecklenburg-Vorpommern, wird SZ Dossier zurückgemeldet. Von der AfD heißt es schlicht, man erfasse Angriffe nicht.
Anders sieht es da bei der Union und der Linkspartei aus. Aus dem Karl-Liebknecht-Haus heißt es, es gebe immer wieder teils gewalttätige Angriffe gegen Politikerinnen oder Wahlkämpfer. Zuletzt diskutiert wurde der Fall der Bundestagsabgeordneten Gökay Akbulut, die in einem ICE angegriffen worden sein soll. Ein Sprecher der Linken verweist zudem auf Fälle in Neubrandenburg und im Burgenlandkreis, bei denen Plakate zerstört und im ersten Fall eine Frau beim Aufhängen eines Plakats von Jugendlichen angegriffen wurde.
Die CDU hat eigens eine Präsentation zusammengestellt, mit der sie die Angriffe der vergangenen Tage gegen einzelne Kreisgeschäftsstellen dokumentiert. Die gesammelten Fälle zeigen, dass diese sich hauptsächlich auf die gemeinsame Abstimmung der Unionsfraktion mit der AfD vergangene Woche im Bundestag beziehen. „AFD LIGHT“ wurde etwa in Höxter an die Tür der Geschäftsstelle gesprüht. „Wo ist die Brandmauer?“, steht vor dem Eingang des Parteibüros in Emden. Zudem sei die Kreisgeschäftsstelle in Hannover besetzt worden. Gegen eine Mitarbeiterin des Bundestagsabgeordneten Johannes Steiniger habe es gar Morddrohungen gegeben, meldete ein Sprecher.
Auch SPD und FDP beobachten ein verändertes gesellschaftliches Klima. Es gebe eine zunehmende Qualität und Häufigkeit von Anfeindungen und Übergriffen, heißt es von den Sozialdemokraten. Ein Sprecher nannte die Übergriffe „ein Alarmzeichen für unsere Demokratie“, das zeige, wie wichtig es ist, klare Solidarität mit allen demokratisch Engagierten zu zeigen.
Die Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfer der FDP nehmen nach Angaben der Partei mehr Aggressionen im Wahlkampf wahr als in den vergangenen Jahren. So hätten gerade Beleidigungen zugenommen; Spitzenkandidat Christian Lindner habe es bei Auftritten bereits mehrmals mit Störern zu tun gehabt. Zudem gebe es mehr Vandalismus an Wahlplakaten.
Einzig die Grünen bleiben scheinbar nicht nur verschont, sondern verzeichnen eher ein vermehrt positives Klima: War die Partei während ihrer Regierungszeit immer wieder teils massiven Anfeindungen ausgesetzt – wie Wirtschaftsminister Robert Habeck während der Bauernproteste im vergangenen Herbst – melden die Grünen im derzeitigen Wahlkampf nur vereinzelt An- oder Übergriffe auf politisch Aktive oder Wahlkämpfer. Eher, so ein Grünen-Sprecher, wachse das Interesse an den Angeboten der Partei.
Aus einer Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine parlamentarische Anfrage der Linken-Abgeordneten Martina Renner geht hervor, dass die Zahl der Straftaten gegen politische Mandatsträger wie Bürgermeisterinnen, Landräte, Stadtverordnete oder Abgeordnete im gesamten vergangenen Jahr deutlich zugenommen hat. Zuerst hatte das Redaktionsnetzwerk Deutschland darüber berichtet.
Demnach verzeichnete das Bundeskriminalamt (BKA) bis zum 31. Dezember 2024 insgesamt 4923 Straftaten (gleicher Stichtag 2023: 4047). Das bedeute einen Anstieg um mehr als 20 Prozent im Jahresvergleich. Das BKA weist darauf hin, dass die Polizeien der Länder Taten aus dem vergangenen Jahr noch bis Ende Januar nachmelden konnten. Somit dürfte die bislang nur vorläufige Zahl noch deutlich steigen. Elena Müller