Im Willy-Brandt-Haus dürften sie sich über die Bilder gefreut haben. Auf der Rückseite der Avus-Tribüne vor dem City Cube der Berliner Messe leuchteten SPD-Slogans auf einer Werbefläche: „Bei Schwarz-Blau sehen wir Rot“ war da zu lesen oder „Mitte statt Merz“. Es war der Versuch der Sozialdemokraten, weiteres politisches Kapital aus der vergangenen Woche zu schlagen.
Im Inneren des City Cube feierten derweil 1001 Delegierte und zahlreiche Gäste des CDU-Wahlparteitags ihren Kanzlerkandidaten Friedrich Merz, der kaum zur Begrüßung ansetzen konnte, so einnehmend und lang war der Auftaktapplaus. Die SPD-Slogans vor dem Gebäude kamen den Christdemokraten gerade recht. Drei Lehren vom Wahlparteitag.
Erstens: In der Deutungsschlacht um die mithilfe der AfD herbeigeführten Mehrheit im Bundestag versucht die CDU, die Geschehnisse der SPD in die Schuhe zu schieben. Der Tenor: Es gab die Chance auf einen Kompromiss in der Mitte des Parlaments, der CDU sei es um die Sache gegangen. „Aber die Debatte am Freitag hat leider gezeigt: Der SPD ging es nie um die Sache, es ging um Wahlkampf“, sagte Generalsekretär Carsten Linnemann.
Auffällig ist, dass es vor allem gegen die SPD geht. Es sei Rolf Mützenich nur um das „Tor zur Hölle“ gegangen, von Anfang an. „Das ist niederträchtig, ich würde sagen, das macht man nicht“, führte Linnemann fort. Das Vorgehen der Union mobilisierte in der Tat das linke Lager, am Wochenende waren hunderttausende Demonstrantinnen und Demonstranten auf den Straßen. Gleichzeitig verurteilte Linnemann die Gewalt, die vereinzelt gegen CDU-Angehörige oder Büros ausgeübt wurde: „Ich würde mich freuen, wenn man sich mal davon distanzieren würde“, sagte er, natürlich in Richtung der SPD-Parteispitze.
Zweitens: Vom Parteitag ging ein klares Zeichen gegen jede Zusammenarbeit mit der AfD aus. CSU-Chef Markus Söder machte den Aufschlag. In seiner Rede betonte er, die AfD habe einen Plan – und zwar den, die Union zu zerstören. „Die Linke ist kein Schutzwall dagegen, das sind wir“, sagte Söder. „Nein, nein, nein zu jeder Form der Zusammenarbeit mit der AfD“, fügte er hinzu. „Wir helfen der AfD nicht, sondern wir werden sie bekämpfen.“ Gleichzeitig ging Söder auf die Wählerinnen und Wähler der AfD zu: „Viele Funktionäre der AfD sind ganz rechtsaußen und manche darf man sogar öffentlich als Nazis bezeichnen, aber nicht ihre Wähler“, sagte er. Viele seien enttäuscht, frustriert, etliche auch empört.
Später ging auch Merz in seiner Rede auf die AfD ein. „Wir werden mit der Partei, die sich Alternative für Deutschland nennt, nicht zusammenarbeiten“, sagte er. Sie sei der wichtigste Gegner für die CDU im Wahlkampf. Für die Aussagen gab es mehrfachen Applaus mit standing ovations. Es werde keine Zusammenarbeit geben, sagte Merz, keine Minderheitsregierung, gar nichts. Trotzdem, das betonten viele Redner und auch der Parteichef, seien die Entscheidungen richtig gewesen. Die Partei bemühte sich um Schadensbegrenzung und darum, in der Frage ein einheitliches Bild abzugeben.
Drittens: Die CDU steht geschlossen hinter Merz. Und selbst Söder betonte, es gebe keinen Platz für „Eitelkeiten und Streitigkeiten“. Es sei ein „steiler Move“ gewesen, ja, Merz habe aber eine „Leitentscheidung“ getroffen. Soll auch heißen: Wenn es schiefgeht, war es eben Merz' Entscheidung. „Wir legen gerade in diesem Augenblick heute den Grundstein für unseren Wahlsieg am 23. Februar“, sagte jener später. Damit knüpfte er die vergangene Woche an sein Wahlergebnis: „Wir haben immer dann die politischen Auseinandersetzungen in unserem Land gewonnen, wenn wir zusammengestanden und zusammengehalten haben, so wie jetzt gerade wieder in diesen Tagen“, sagte Merz.
Er setzte bewusst auf die großen Linien: Inhalte und CDU pur. Es ging viel um Wirtschaft, Wettbewerbsfähigkeit, Industrie. Merz skizzierte vor allem, was die CDU will: weniger Bürokratie, mehr Engagement in Europa, Klimaneutralität mithilfe von technologischer Innovation, die Rente mit 67. Es war eine Rede, die sich nicht nur an die Delegierten richtete, sondern auch explizit an die Wählerinnen und Wähler. Schnell zeichnete sich auch das Leitmotiv des Parteitags ab, vielleicht des gesamten Wahlkampfs: „Wir wollen, dass die Welt wieder mit Respekt und Achtung auf Deutschland schaut und nicht mit Verwunderung und Kopfschütteln“, sagte Merz.
Seine Rede war schon fast am Ende, als er erneut auf die jüngsten Ereignisse einging. „Wir werden angegriffen und es regt sich Protest gegen unsere Politik“, sagte Merz. Doch es komme gerade jetzt darauf an, Kurs zu halten, die „große Mehrheit der Bevölkerung“ stehe hinter den Beschlüssen. Hinter vorgehaltener Hand hinterfragte im City Cube jedoch so mancher den Zeitpunkt der Merz’schen Aktion. Ob es so kurz vor der Wahl ein kluger Schachzug war, wisse man aber erst im Nachhinein.
Der Parteichef jedenfalls mahnte zur Einigkeit und bekam sie. Am Ende des Parteitags, die Musik der Live-Band wurde während des obligatorischen Klatschens nach der Merz-Rede etwas lauter, wippte der Kanzlerkandidat sogar im Takt mit. Friedrich Merz wirkte nach dem Tag gelöst. Gabriel Rinaldi