Donald Trumps mit Drohungen gespickter Griff nach Grönland klingt für viele in Europa wie wirres Zeug. Dabei stecken handfeste und aus US-Sicht durchaus sinnvolle strategische Überlegungen dahinter. Was derzeit allerdings fehlt: Stimmen, die anerkennen, dass die Europäer sich mehr Mühe geben sollten, die in mehrfacher Hinsicht wertvolle Insel in ihrer Einflusssphäre zu halten.
Grönland ist geoökonomisch wichtig. Die mit dickem Eis bedeckte Insel ist reich an Mineralien und wichtigen Rohstoffen; sie dient als Tor zur Arktis und als Bollwerk gegen Russland und China. Denn diese beiden Mächte melden in der Arktis schon seit geraumer Zeit forsch immer neue Ansprüche an.
Eine Schatzkammer für Rohstoffe und Mineralien, Erdgas und Öl. Eine Studie des „Center for Minerals and Materials“ aus dem Jahr 2023 zeigt die umfangreichen Rohstoffvorkommen von Grafit über Lithium bis hin zu Germanium und Gallium – Elemente, deren Export China strenger regulieren will. Deutschland will hier seine Abhängigkeiten abbauen.
Der EU-Kommission zufolge sind 25 der 34 für Zukunftsbranchen wichtigen „kritischen Rohstoffe“ in Grönland vorhanden. Sie sind essenziell für die Herstellung von Batterien, Windturbinen und Elektrofahrzeugen. Entsprechend vereinbarte man Ende 2023 mit Grönland eine strategische Partnerschaft für nachhaltige Rohstoff-Wertschöpfungsketten.
Bis auf wenige Projekte blieben diese Ressourcen aber unberührt, vor allem aus zwei Gründen. Einer ist der Umweltschutz: Grönland verbietet die Förderung von Öl und Erdgas; der Bergbau wird durch strikte Vorgaben und den Widerstand der Einheimischen gebremst.
Zum anderen verhindern die harschen Bedingungen den großflächigen Abbau. Doch das ändert sich durch den Klimawandel. Die Europäische Weltraumorganisation ESA stellte unlängst fest, dass das Eis in Grönland rapide schwindet. Die fortschreitende Erderwärmung legt nicht nur die Bodenschätze Grönlands frei, sie öffnet auch den Seeweg an der Insel vorbei in den Arktischen Ozean. Dort werden ebenfalls große Bodenschätze vermutet.
Zudem entsteht eine Seeverbindung zwischen Amerika, Russland, Asien und Europa. Im Herbst 2007 zeigten Satellitenbilder erstmals eine eisfreie und damit schiffbare Passage entlang der Küsten Grönlands.
Bislang legt ein Containerschiff von China nach Europa durch den Suezkanal rund 22 000 Kilometer zurück. Wegen der Huthi-Angriffe wird oft ein Umweg um das Kap der Guten Hoffnung nötig – weitere 5 000 Kilometer. Die Strecke über die Nordostpassage um Russland beträgt hingegen lediglich 16 000 Kilometer. Die Nordwestpassage um Kanada ist nochmals 2000 Kilometer kürzer. Beide Routen führen an Grönland vorbei.
Der Zugang vom Nordatlantik zum europäischen Nordmeer und arktischem Ozean heißt auch GIUK-Lücke – weil dieser Seeweg zwischen Grönland (G), Island (I) und Großbritannien (UK) verläuft. Für Russland und China ist es die strategische Route an die US-Küste. Grönland ist zentral für die Kontrolle dieses Zugangs zu den Polarmeeren.
Mehrere Staaten streben die Hoheit über die Nordrouten an. Russland liegt dank seiner Flotte von atomgetriebenen Eisbrechern dabei in Führung – und legt weiter nach mit einer neuen Generation von Eisbrechern. Auch China strebt in die Polarregion: Peking erklärte sich 2018 zum „arktisnahen Staat“ und legte ein entsprechendes Weißbuch vor – auch wenn China weit von der Arktis entfernt liegt.
Etwas US-Militär ist allerdings schon auf Grönland stationiert – in Form der Luftwaffenbasis Pituffik Space Base (Thule). Dort unterhalten rund 200 US-Soldaten ein Frühwarnsystem, um Raketenflüge zu überwachen, vor allem mit Blick auf Russland und China.
Trumps Idee ist geostrategisch also absolut plausibel. Das Problem ist sein Auftreten. In der Vergangenheit haben die USA in Grönland militärisch vieles bekommen – durch Verhandlungen.
Da Dänemark mit nur rund 60 Soldaten auf Grönland dessen Sicherheit ohnehin nicht gewährleisten kann, wäre mehr US-Militär dort wohl durchaus willkommen. Denn die Frage der Verteidigungsfähigkeit bliebe auch in einem eigenständigen Grönland offen.
Wie geht es weiter? Dänemarks Ministerpräsidentin Mette Frederiksen sagte nun: Über die Zukunft Grönlands entscheiden allein die Grönländer. Zuvor hatte Kopenhagen die Souveränitätsbestrebungen der autonomen Insel lange ignoriert. Und so wird Dänemark in absehbarer Zeit Grönland wohl verlieren. Ziemlich sicher in die Unabhängigkeit. Vielleicht aber an Amerika. Michael Radunski