Fast auf den Tag genau ein Jahr alt ist das BSW nun. Angetreten sind Wagenknecht und ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter mit nicht weniger als dem Anspruch, das Parteienspektrum und die Politik in Deutschland zu verändern. Und zwar grundlegend. Ein Jahr später sitzen BSW-Politiker in drei Landtagen, zwei Landesregierungen und dem Europaparlament. Beachtliche Erfolge für eine derart junge Partei.
Das große Ziel des BSW war und ist allerdings die Bundestagswahl. Und genau das gerät gerade ins Wanken. Umfragen sehen Wagenknecht und Co. derzeit mal knapp unter, mal knapp über der Fünf-Prozent-Hürde. Lautete im vergangenen Sommer die Frage noch, wie stark das BSW wohl in den Bundestag einziehen würde, geht es nun mehr um das Ob als um das Wie.
Für diese heikle Lage gibt es gleich mehrere Ursachen. Ausgerechnet die Erfolge aus dem vergangenen Jahr machen Wagenknecht gerade das Leben schwer. Es schimpft sich nun mal schwerer auf die etablierten Parteien, wenn die eigenen Leute selbst am Kabinettstisch sitzen. Hinzu kamen handwerkliche Fehler bei der Regierungsbildung: Wagenknecht stand vor der Wahl: nicht regieren und weiter Anti-Establishment sein – oder mitgestalten und das Risiko eingehen, den eigenen Nimbus des Andersseins zu verlieren.
Sie entschied sich für den Mittelweg: In Sachsen macht das BSW Opposition, in Thüringen und Brandenburg ging die Partei Koalitionen ein und versuchte, so viel BSW wie möglich herauszuholen, um den eigenen Markenkern zu erhalten. Nicht förderlich war es allerdings, die ganze Republik am Ringen darüber teilhaben zu lassen, wie viel BSW es denn sein muss. Dabei hat die Partei die Chance verpasst, die eigenen Erfolge wirklich zu feiern. Der Streit hat die Freude überlagert.
Und dann macht dem BSW auch die derzeitige Themenkonjunktur zu schaffen, der Krieg in der Ukraine steht gerade nicht so im Fokus, wie es in der Vergangenheit der Fall war. Das sieht auch die Parteichefin so: „Aktuell überlagern die Sorgen um den Arbeitsplatz, die Angst vor Deindustrialisierung und massiven Wohlstandsverlusten die meisten anderen Themen, auch die Sorge vor einer Ausweitung des Ukraine-Kriegs“, sagt Wagenknecht SZ Dossier.
Am kommenden Sonntag trifft sich das BSW zum Parteitag in Bonn, Anfang Februar geht Wagenknecht auf Wahlkampftour. Spätestens da muss sie den Turnaround schaffen. Aber wie? „Bisher hat das BSW seine Wähler vor allem als konsequente Friedenspartei überzeugt“, sagt Wagenknecht. Das Thema bleibe wichtig, allein darauf will sich Wagenknecht aber nicht fokussieren, sondern auch die ökonomische Situation in den Blick nehmen.
Der „wirtschaftliche Niedergang“, wie sie sagt, könne nicht dadurch aufgehalten werden, dass die Parteien, die ihrer Ansicht nach Schuld an der Misere seien, nach der Wahl in neuer Konstellation weiterarbeiteten. Der CDU wirft sie vor, sie habe kein Konzept, um die Energiepreise zu senken und die Infrastruktur zu modernisieren. „Über all das werden wir im Wahlkampf reden“, sagt Wagenknecht.
Erreichen will sie vor allem jene Wähler, die noch unentschieden sind, das sei bei „der Mehrheit der Menschen“ der Fall, sagt sie. Auf diese Unentschlossenen setzt die BSW-Chefin, sie muss es auch: „Selbstverständlich haben wir als so junge Partei noch keine Stammwählerschaft.“
In einer neuen Studie haben die Politikwissenschaftler Leon Heckmann, Constantin Wurthmann und Sarah Wagner indes herausgefunden, woher die Wählerinnen und Wähler des BSW kommen. Anhand von Paneldaten zeigen die drei Fachleute, dass die beiden größten Gruppen, die seit Oktober 2023 zum BSW gewechselt sind, von der AfD und von der Linken stammen.
Der Blick auf Wählerwanderungen – insbesondere nach der Europawahl – hatte im vergangenen Jahr noch zu dem Schluss geführt, das BSW speise sich vor allem aus ehemaligen Unterstützern der SPD und der Linken, weniger aus AfD-Anhängern. Das Problem dieser Analyse war: Sie verglich die Wählerwanderung zwischen der Bundestagswahl 2021 und der Europawahl drei Jahre später. Der zwischenzeitliche Anstieg der AfD in Umfragen und die dadurch größere Zahl an potenziellen AfD-Wählern fand damit keine Berücksichtigung. Entsprechend unterschätzt wurde auch die Zahl derjenigen, die von der AfD zum BSW wechselten.
Etwa 1100 derjenigen, die es mit dem BSW halten, sind inzwischen Mitglied der Partei geworden, etwa 25.000 gelten als sogenannte Unterstützer. Wagenknecht setzt auf Kontrolle, will verhindern, dass ihre Partei von schrägen Vögeln unterwandert wird. In Zukunft soll das Wachstum allerdings beschleunigt werden: „Wir werden unseren Parteiapparat besser aufbauen und dadurch Mitglieder in Zukunft schneller aufnehmen können“, sagt der stellvertretende BSW-Vorsitzende Amid Rabieh SZ Dossier. „Wir werden hierzu aber nicht die Kompetenzen verschieben.“ Heißt: In Zukunft soll weiterhin die Parteispitze darüber entscheiden, wer mitmachen darf. Tim Frehler