„Friedrich Merz wäre ein dezidiert außenpolitischer Bundeskanzler. Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik haben für ihn einen sehr hohen Stellenwert“, sagte CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen im Gespräch mit SZ Dossier. Ebenso sei Merz ein „überzeugter“ Europäer. „Er war die ersten fünf Jahre seines berufspolitischen Lebens im Europaparlament und sagt auch von sich, das sei für ihn eine prägende Zeit gewesen.“
Ein Bundeskanzler Friedrich Merz als neuer Vorreiter in der Europäischen Union? Merz selbst war es, der am Wochenende in seiner wöchentlichen „Merz-Mail“ schrieb, die Bundesregierung sei in Brüssel ein Totalausfall. Wie würde sich die deutsche EU-, Außen- und Sicherheitspolitik unter Merz ändern? Wir haben bei den Fachleuten in Partei und Fraktion nachgefragt.
„Die europäische Führungsrolle ist mehr als nur eine Initiierungsrolle. Ich meine, dass Macron noch größere Erwartungen in Scholz gesetzt hat“, sagte Röttgen. Man müsse vorangehen, ja, aber auch mitnehmen. „Wenn man durchgeht, würden sie es in Paris, in Warschau, in Brüssel, in Rom auch so sehen. Und in London gibt es auch keine großen Vorbehalte.“
Auf die Prioritäten angesprochen, sagte Röttgen, man müsse alles daran setzen, die transatlantische Sicherheitspartnerschaft zu erhalten. „Um dies zu erreichen, wird es einer enormen Steigerung des europäischen Sicherheitsbeitrages bedürfen. Und wir müssen unsere geopolitischen und geoökonomischen Abhängigkeiten weiter reduzieren“, sagte er.
Damit kommt Röttgen zu einem Punkt, der für eine Regierungsbeteiligung der Union besonders wichtig wäre: „Es ist zentral, eine enge Verzahnung von Sicherheitspolitik und vor allem auch Wirtschafts- und Wachstumspolitik herzustellen.“ Die Rüstungsindustrie müsse größer und europäischer werden.
Auch der Entwurf des Wahlprogramms der Unionsparteien bringt Antworten. Den Bundessicherheitsrat wollen CDU und CSU zu einem Nationalen Sicherheitsrat entwickeln. „Der Bundeskanzler hat die außenpolitische Entscheidungskompetenz“, sagte CDU-Sicherheitspolitikerin Serap Güler SZ Dossier. „Ein Kanzler Merz würde davon öfter Gebrauch machen.“
Im Wahlprogramm taucht der Taurus, anders als bei der SPD, nicht auf. Es heißt lediglich, Deutschland unterstütze die Ukraine „mit allen erforderlichen diplomatischen, finanziellen und humanitären Mitteln sowie mit Waffenlieferungen“. Kyiv müsse sein Selbstverteidigungsrecht ausüben können. Dafür wird die von Merz geforderte Ukraine-Kontaktgruppe im Wahlprogramm aufgedröselt (SZ Dossier berichtete).
Güler sagte, die Union würde den Taurus unter Bedingungen liefern. „Das Problem war und ist, dass wir Putins rote Linien übernommen haben“, sagte sie. Merz wäre strategisch anders vorgegangen, meint sie: „Es ist für Friedrich Merz eine klare Priorität, alles dafür Nötige zu tun, dass Putin in der Ukraine verliert und der Krieg scheitert“, sagte Röttgen. „Wir sagen: Es geht zuallererst um die Wiederherstellung von Sicherheit. Sicherheit werden wir nur erreichen, wenn das Gegenteil von Sicherheit, nämlich der Krieg, scheitert.“
Selbst wenn diese Fragen andere entscheiden, anderswo: „Wenn der Frieden wirklich wichtig ist, hätten wir mehr tun müssen“, sagte Röttgen. In einer Regierung mit der SPD wäre das sicherlich komplizierter als in einer Koalition mit den Grünen, wie Merz zugab. „Außen- und sicherheitspolitisch wird es mit den Grünen wesentlich einfacher als das, was ich mir mit der SPD vorstellen kann“, sagte Güler. Aber: Bei der damit zusammenhängenden Wirtschaftspolitik oder der Migration werde es dann wieder schwieriger.
Wie es mit der Nato weitergeht? „Auf die Nato kommt mit der kommenden Amtszeit Trumps eine schwere Phase zu. Ich glaube aber, dass sie das überleben wird, weil man trotz aller Probleme zwei Dinge weiß: Die Zeit mit Trump ist endlich und die Gefahren, gegen die die Nato uns schützt, bleiben“, sagte Röttgen. Aber: „In dem Maße, in dem die Verteidigungsbeiträge und auch die Koordination der Europäer stärker würden, hätten wir mehr zu sagen.“
Das Zwei-Prozent-Ziel sieht die Union laut Wahlprogramm „als Untergrenze unserer Verteidigungsausgaben, um eine vollständig einsatzbereite Bundeswehr mit einer personellen und materiellen Vollausstattung zu ermöglichen“. Gleichzeitig wollen CDU und CSU die Bundeswehr in eine Verteidigungsunion integrieren, die in die Nato-Strukturen eingebettet ist.
Doch zunächst einmal soll die Truppe von 180.000 auf 203.000 Soldatinnen und Soldaten anwachsen und zur führenden europäischen Armee in den Bereichen Weltraum, Drohnen und beim europäischen Abwehrschirm werden. Hierzu will man die eigenen Cyberfähigkeiten verbessern und eine Drohnenarmee aufbauen.
Perspektivisch will die Union ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr einführen, das mit einer „aufwachsenden Wehrpflicht“ zusammengedacht werden soll. „Das Dienstjahr ist für uns ein wichtiger Punkt, es wird auch eine große Rolle in den Koalitionsverhandlungen spielen“, sagte Güler. Das wiederum werde mit der FDP schwierig, sagte sie.
Deutschland soll unter einem Kanzler Merz also eine größere Führungsrolle einnehmen. So oder so muss Berlin wahrscheinlich zu mehr intergouvernementalen Ansätzen kommen – wie dem Weimarer Dreieck. „Der wichtigste Punkt ist, dass mehrere Länder zu gemeinsamen Aktionen kommen. Das halte ich für den wirksamsten Ansatz“, sagte Röttgen. Seine Meinung spiegelt sich auch im Wahlprogramm wider: Frankreich und Polen werden direkt nach der transatlantischen Partnerschaft genannt.
„Donald Trump wird alles dafür tun, Europa in dem Sinne zu spalten, als dass er am liebsten bilaterale Gespräche mit den europäischen Ländern führt, die er für wichtig hält“, sagte Güler. Umso wichtiger sei es für Europa, wenn auch nicht einstimmig, mit möglichst vielen Partnern zusammenzukommen – in einer „Koalition der Willigen“. „Ich traue es einem Kanzler Friedrich Merz eher zu, Europa zusammenzuführen, als es Scholz in den vergangenen drei Jahren bewiesen hat.“