Drei Jahre nach Beginn des Ukraine-Krieges sind die deutsche Wirtschaft und das politische System nach wie vor anfällig für russische Einflussnahme. Das ergab eine neue Studie namens „Netzwerke der Macht: Russlands Schatteneinfluss in Deutschland“, die heute vorgestellt wird. „Die ausgedehnten Einflussnetzwerke, die Russland über viele Jahre aufgebaut hat, sind lebendig und wohlauf“, schreiben die Autoren des Center for the Study of Democracy (CSD) in Sofia in der Studie, die SZ Dossier vorab vorliegt.
Die Studie zeichnet kein schmeichelhaftes Bild für Deutschland. Es wirkt, als seien viele deutsche Geschäftsleute und Politiker den perfiden Taktiken Moskaus auf den Leim gegangen. Der Kreml agierte nicht offen, sondern schob laut der Studie gezielt Manager russischer Staatsfirmen vor. Staatskonzerne wie Gazprom und Rosneft haben über Jahre mit langfristigen Energie-Deals Abhängigkeiten geschaffen. Dies habe maßgeblich dazu beigetragen, den deutschen Privatsektor an sich zu binden, „was Moskau politischen Einfluss verschaffte – und gleichzeitig die institutionelle Autonomie, die demokratische Widerstandsfähigkeit und die politische Entschlossenheit Deutschlands schwächte“.
Zwar haben die Sanktionen Russlands Möglichkeiten zur Einflussnahme seither geschwächt – ebenso wie seine direkten Geschäfte mit dem Westen. „Doch der Kreml hat sich angepasst und die Handelsströme durch Drittländer wie die Türkei und Zentralasien umgeleitet.“ Auf diese Weise habe er sich die wichtigen strategischen Geschäftsbeziehungen zu allen möglichen Firmen in Europa und Deutschland erhalten. Vor allem zentralasiatische Staaten wie Kasachstan haben sich längst zur Drehscheibe eines Schattenhandels mit sanktionierten Waren entwickelt – inklusive militärisch nutzbarer Dual-Use-Produkte wie integrierte Schaltkreise, Konverter oder Mikrochips.
Auch deutsche Firmen liefern auf diesem Umweg laut der Studie weiterhin Dual-Use-Produkte nach Russland. Zwischen März 2022 und Mai 2024 seien die deutschen Dual-Use-Exporte direkt nach Russland zwar um 92 Prozent gesunken, schreiben die Autoren. „Ein Großteil dieses Rückgangs aber wurde durch eine Ausweitung der Exporte in andere Länder kompensiert, insbesondere in die Türkei, die Vereinigten Arabischen Emirate und einige Ex-Sowjetrepubliken.“
Zwar seien harte Zahlen zu Re-Exporten schwer zu bekommen, da viele dieser Geschäfte naturgemäß verschleiert werden, räumen die Autoren ein. Eine plötzliche Nachfrage-Explosion nach deutschen Waren in den betreffenden Drittländern sei aber nahezu auszuschließen. „Daher ist davon auszugehen, dass die zusätzlichen Mengen dann weiter nach Russland exportiert werden.“ Zumal im gleichen Zeitraum die Exporte sanktionierter Waren etwa von Zentralasien aus nach Russland explodierten, wie kürzlich der Economist berichtete.
Das wirft unangenehme Fragen auf: Schließlich verurteilen Berlin und Brüssel unter anderem Peking für die Lieferung von Dual-Use-Produkten oder Drohnen durch chinesische Firmen. Drückt der Westen bei den eigenen Unternehmen ein Auge zu? „Es liegt auf der Hand, dass deutsche und europäische Behörden keine strengeren Sanktionsregelungen durchsetzen wollen oder können“, schreiben die Autoren.
Die meisten Firmen müssten wissen, dass ihre Ware nicht in Kirgistan oder anderen Kleinmärkten verbleibe. Doch viele „täuschen offensichtlich Unwissenheit vor, um ihre Aktivitäten in Russland zu verbergen“. Und ganz offiziell seien noch knapp 200 deutsche Unternehmen auf dem russischen Markt aktiv, darunter der Lebensmittelgroßhändler Metro AG und das Pharmaunternehmen Stada AG. Deutsche Maschinenbauer räumten diese Woche freimütig ein, weiterhin nach Russland zu verkaufen.
Doch Russlands ökonomische Präsenz in vielen europäischen Ländern sinke, schreiben die Autoren. Und damit die Möglichkeit, auf diesem Weg Einfluss zu nehmen. Moskau setze daher auf andere Wege – versuche vielmehr über eine ideologischere und wertebasierte Einflussstrategie ein neues Netzwerk von Unterstützern aufzubauen, die nicht direkt mit russischen Geschäftsinteressen verbunden seien. Zum Beispiel durch Parteien am äußersten rechten Rand.
Der Plan: Extrem rechte Politiker und Aktivisten in Europa zu verbinden, um so eine „antiliberale“ Koalition zu schaffen, die christliche und konservative Ideen verbreitet. Russlands enge Kontakte mit der extremen Rechten in Europa seien ein „nützliches Werkzeug“, um russische Desinformation zu verbreiten und so den öffentlichen Diskurs zu radikalisieren, schreiben die Autoren. Mit Blick auf Deutschland beschreiben die Verfasser ein Geflecht aus Politikern der AfD, russischen Oligarchen und der Adelsfamilie von Oldenburg.
Einer der Hauptakteure darin ist laut der Studie der AfD-Bundestagsabgeordnete Markus Frohnmaier. Er gilt als Vertrauter von Parteichefin Alice Weidel, ist zudem einer der beiden Landessprecher der AfD in Baden-Württemberg. Medienberichte über Papiere aus dem russischen Staatsapparat zeigten schon vor Jahren Russlands Überlegungen, über Frohnmaier Einfluss auf Debatten in Deutschland zu nehmen. Unter anderem auf diese Berichte stützt sich die Studie. Frohnmaier teilte damals über seinen Anwalt mit, er habe zu keinem Zeitpunkt unter dem Einfluss Dritter gestanden.
Daneben schreiben die Autoren der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der AfD im Bundestag, Beatrix von Storch, eine zentrale Rolle zu. Sie und Teile ihrer Familie, das Adelsgeschlecht von Oldenburg, seien demnach gemeinsam mit russischen Oligarchen an Kampagnen gegen Abtreibung und für erzkonservative Werte beteiligt.
Der Studie zufolge sieht man in Moskau einen zweiten Kanal für prorussische Narrative im Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). „Der wachsende Einfluss und die Popularität des BSW haben die Aufmerksamkeit des Kremls geweckt“, schreiben die Autoren. Das zeige etwa die Einladung des Europaabgeordneten Michael von der Schulenburg zu einem Symposium nach Sotschi, an dem Politiker der AfD – und Ex-Präsident Dmitri Medwedew teilnahmen. Auch wenn diese Einladung abgelehnt wurde. In den Netzwerkanalysen der Autoren spielt das BSW zwar keine prominente Rolle, in der Verbreitung prorussischer Narrative hingegen schon. Christiane Kühl, Tim Frehler