Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) ist zweifellos eine junge Partei, noch fehlen Landesverbände, das Parteiprogramm umfasst nicht mehr als vier Seiten. Mit zweistelligen Ergebnissen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg beeinflusst die Partei aber bereits die politische Tagesordnung, obwohl noch nicht ausgemacht ist, ob sie mitregieren wird. Das zeigt: Ein Jahr vor der Bundestagswahl entwickelt sich das BSW zu einem Machtfaktor – und damit auch seine Positionen. SZ Dossier hat daher einen Blick sowohl in das Parteiprogramm als auch auf frühere Aussagen der Chefin geworfen und Hinweise gesammelt, was das BSW in Sachen Klimapolitik vorhat.
Das ist zwar in manchen Bereichen noch unscharf, die These von der Black-Box-BSW trifft trotzdem nicht ganz zu. Schließlich verrät der Name der Partei ja ziemlich genau, was man bekommt: Sahra Wagenknecht nämlich – eine Frau, die schon seit etlichen Jahren Politik macht. Und die ihr Weltbild, ihre Positionen in ihrem 2021 erschienenen Buch „Die Selbstgerechten“ aufgeschrieben hat. Darin skizziert sie auch, welche Leitlinien für sie in der Klimapolitik gelten.
Es könne niemanden gleichgültig lassen, schreibt Wagenknecht, wenn der Planet im Müll ersticke, Arten ausstürben, das Klima immer heißer und trockener werde. Es sei daher notwendig, die „Diskussion über Wege zur Rettung von Klima und Umwelt“ zu führen, sie aber als Debatte über Fragen des Lebensstils und des Konsums aufzuziehen, sei unehrlich. „Ein Elitendiskurs“, schreibt Wagenknecht.
Es ist der Gegensatz, der ihre Politik prägt: hier die sogenannten einfachen Leute, die Fleisch essen, mit der Billigairline fliegen und Diesel fahren, dort die, wie Wagenknecht sie nennt, Lifestyle-Linken. Laut Wagenknecht wollen sie der anderen Gruppe vorschreiben, was diese zu tun und zu lassen hat. Sarah Wagner, Politikwissenschaftlerin an der Queen's University in Belfast, fasst diese Haltung so zusammen: „Wir wollen schon über den Klimawandel reden, aber eigentlich geht es uns um eine Anti-Eliten-Position.“
Eine Ausrichtung, wie sie sich auch im vierseitigen Parteiprogramm des BSW wiederfindet: Das sieht den Klimawandel zwar als Herausforderung, die die Politik nicht ignorieren dürfe. Maßnahmen, um den Klimawandel zu bekämpfen, dürften allerdings weder die wirtschaftliche Substanz gefährden noch das Leben der Menschen verteuern. Alles andere gefährde die Akzeptanz in der Bevölkerung. Was das für die praktische Umsetzung bedeutet, dazu findet sich nichts weiter im Programm.
In den Bundesländern, in denen das BSW bereits zu Wahlen angetreten ist, ist das Bündnis zumindest etwas konkreter geworden. Beispiel Energiewende: Die will Wagenknechts Partei nur dann vorantreiben, wenn Bürgerinnen und Bürger finanziell daran beteiligt werden, heißt es in den Wahlprogrammen für Sachsen und Thüringen. Das BSW will daher Bürgerwind- und -solarparks fördern. Zugleich will es aber nicht auf fossile Energiequellen verzichten. Einen Kohleausstieg vor 2038 werde es mit dem BSW „nicht geben“. Außerdem betont die Parteichefin immer wieder, dass sie trotz des Kriegs gegen die Ukraine gerne Gas aus Russland importieren würde.
Inhaltlich konkreter wird es auch in Wagenknechts Buch: Sie plädiert für ein Wachstum, das auf langlebige Konsumgüter und neue Technologien setzt, auf Innovationen und nicht auf Anreize zum Verzicht. Wagenknechts Devise: „Wir müssen nicht anders konsumieren, sondern vor allem anders produzieren.“ Und bis das etwa in Form von „echter Kreislaufproduktion“ und flächendeckend mit grüner Energie möglich sei, müsse man eben das Beste aus den bestehenden Technologien herausholen.
Zum Beispiel, indem die Politik Autohersteller unter Druck setze, das Zwei- oder Ein-Liter-Auto marktreif zu machen, anstatt Steuergeld auszugeben, um „Teslas und E-Porsches“ zu fördern. Eine Position, die Wagenknecht auch weiterhin vertritt: Sie sei ja für eine vernünftige Klimapolitik, sagte sie Ende September bei einem Statement im Bundestag, allerdings würde das bedeuten, „sich von diesen Flottengrenzwerten zu verabschieden“. Stattdessen forderte sie Auflagen, „was die Entwicklung verbrauchsärmerer Verbrenner angeht“. Denn das sei nun mal das, was die deutschen Automobilunternehmen können, sagte Wagenknecht.
Bisher spielt die Klimapolitik beim BSW aber eher eine untergeordnete Rolle, im Fokus stehen die Sozial- und Außenpolitik. Das sieht auch die Politikwissenschaftlerin Sarah Wagner so: „Umweltpolitik wird immer in Opposition zur Wirtschaft betrachtet und steht in direkter Kombination mit den sozialen Gerechtigkeitsforderungen der Partei.“
Doch kann es sich eine neu gegründete Partei überhaupt erlauben, ihre Klimapolitik hauptsächlich als Gegensatz zu den Grünen zu formulieren und mit eigenen Maßnahmen eher im Ungefähren zu bleiben? Im Jahr 2024 schon, sagt Sarah Wagner. Während die Klimapolitik bei der Europawahl 2019 noch ein instrumenteller Faktor gewesen sei, habe das Wahljahr 2024 gezeigt, dass den Wählerinnen und Wählern andere Themen wichtiger seien. „Eine neue Partei muss kein klimapolitisch kohärentes Wahlprogramm haben, weil sie darauf nicht direkt getestet wird“, sagt Wagner. Tim Frehler, Bastian Mühling