Es kommt vor, dass Bildungsministerinnen oder Kommissionspräsidentinnen bestimmte Angelegenheiten lieber über den kurzen Dienstweg erledigen. Per Messenger oder SMS etwa, so wie Bettina Stark-Watzinger (FDP) oder Ursula von der Leyen (CDU). Aus Stefan Brinks Sicht ist das besorgniserregend – weil Verwaltungen so heute viele relevante Daten gar nicht mehr generieren und so eine Kerntugend des Regierungshandelns verloren geht.
Das Bewusstsein für die Vollständigkeit von Akten sei „komplett verlorengegangen“, sagte Brink. Er gilt als einer der versiertesten Datenschützer Deutschlands, war bis Mitte 2022 Landesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit Baden-Württembergs und leitet nun das Institut für die Digitalisierung der Arbeitswelt in Berlin. Er arbeitet derzeit gemeinsam mit Frag den Staat an einem Leitfaden für eine zeitgemäße Aktenführung im digitalen Zeitalter, der in den kommenden Monaten fertig und anschließend der Verwaltung übergeben werden soll.
„In den 70er-Jahren gab es noch eine genaue Aktenordnung in den Ministerien und Behörden“, sagte Brink. „Da war klar, dass alles in die Akte rein muss, was einen bestimmten Sachverhalt betrifft.“ Heute dagegen würden Beteiligte immer noch glauben, „dass sie zum Beispiel Mails nicht verakten müssten“. Ein Beispiel: „Es kann nicht sein, dass ein Außenminister seine SMS zum Afghanistan-Abzug nicht veraktet.“
Dienstliche Anweisungen und Verwaltungsvorschriften müssten dringend überarbeitet werden, sagte Brink: „Jede SMS, jede Mail, jede Direktnachricht in sozialen Medien muss erfasst werden, wenn sie für einen Verwaltungsvorgang relevant ist.“ Nachvollziehbarkeit, Dokumentation und Rechenschaftspflicht müssten für alle Kommunikationskanäle gelten. „Wird solche Kommunikation in den Akten nicht erfasst, kommuniziert jeder nur noch über Messenger, wenn man nicht will, dass etwas offiziell ist.“
Eine Verwaltung ohne genaue Aktenordnung sei weder führbar noch kontrollierbar. „Wir müssen der Verwaltung sozusagen wieder das Verwalten beibringen“, sagte Brink. Ferner müsse die Verwaltung lernen, dass sie nicht die Hüterin des Herrschaftswissens sei. Brink wünscht sich, was die Ampel eigentlich umsetzen wollte: ein Transparenzgesetz.
„Die Informationsfreiheitsgesetze werden wir zu einem Bundestransparenzgesetz weiterentwickeln“, heißt es im Koalitionsvertrag. Damit würde die Verwaltung dazu verpflichtet werden, Informationen proaktiv auf einem Portal bereitzustellen, sofern sie nicht geschützt sind. Statt langwieriger Informationsfreiheitsanfragen bräuchte es dann nur noch ein paar Klicks, um zum gewünschten Dokument zu kommen.
Die Zeit wird langsam knapp, aus dem Bundesinnenministerium heißt es auf Anfrage, dass das Vorhaben nicht begraben sei. „Die Meinungsbildung bezogen auf einen Entwurf für ein Transparenzgesetz und dessen Zeitplanung ist innerhalb der Bundesregierung noch nicht abgeschlossen“, sagte eine Sprecherin. Brink glaubt nicht mehr daran. Die Verwaltung widersetze sich in Deutschland der Idee. Kürzlich veröffentlichten zivilgesellschaftliche Organisationen einen Aufruf, um das Gesetz zu retten.
„Wir müssen aufpassen, dass wir Transparenz nicht als lästigen, zusätzlichen Aufwand begreifen, sondern als ganz normales Verwaltungshandeln“, sagte Brink. Verwaltung müsse öffentlich stattfinden und zugänglich sein. Die Aufgabe der Verwaltung sei es nicht, „Bürger davon abzuhalten, sich einzumischen“. Oft gebe es die Meinung, „dass man keine Unterlagen herausgeben kann, weil die Bürger das alles falsch verstehen würden, die Verwaltung alles zusätzlich erklären müsste und es deshalb alles so viel Aufwand sei“. Der Staat dürfe seine Bürger aber nicht für blöd halten, so Brink: „Der Regelfall müsste sein, dass alles herausgegeben und auf einem zentralen Transparenzportal veröffentlicht wird.“
„Die Argumente, dass das alles aufwendig und teuer sei, gibt es ja nur, weil die Verwaltung so stark unterdigitalisiert ist“, sagte Brink. Wenn Kosten entstünden, müssten die natürlich abgedeckt werden. „In der Regel spart ein Transparenzgesetz aber Kosten.“ Heute müssten schützenswerte Stellen in Akten händisch geschwärzt werden, bevor sie herausgegeben werden können. Das betreffe oft hunderte Seiten.
Gebe es eine flächendeckende digitale Aktenführung, könnten solche Schritte automatisiert und „enorme Ressourcen und Kosten eingespart werden“. Es sei „völlig widersinnig“, amtliche Informationen von der Idee auszuklammern, möglichst viele Daten für die Digitalisierung und Künstliche Intelligenz zu erschließen. „Dazu bekennt sich die Politik derzeit ja ständig“, sagte Brink. „Jeder sagt, Daten seien das neue Öl.“ Matthias Punz
Abonnenten unseres Dossiers Digitalwende hatten das Interview zuerst im Postfach. Zum kostenlosen Probelesen können Sie sich hier anmelden.