Zehn Plakate hängen von der Decke einer Galerie in Berlin-Kreuzberg. Sie zeigen den Bäcker Till, die Gastronomin Valentina oder André, den Friseur, allesamt designt im Andy-Warhol-Stil: Tills Lippen leuchten gelb, seine Brille blau. Den Rest seines Gesichts haben die Designer in ein dunkles Rosa getunkt. Die Porträts sind der Kern der neuen Kampagne „Unser Land in Arbeit“ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS), die am vergangenen Mittwoch gestartet ist. Die Plakate hängen bereits, online läuft die Kampagne ebenfalls. Außerdem hat das Ministerium sogenannte Murals an Hauswände sprayen lassen.
Das Ziel ist, jene Menschen zu würdigen, die jeden Tag zur Arbeit gehen. Das Ganze soll Kritikern begegnen, die das Bürgergeld für zu hoch halten und für einen Grund, dass Menschen lieber zu Hause blieben statt zu arbeiten. Es geht dabei aber auch um eine andere Form der Regierungskommunikation.
Die Kampagne solle nicht an eine Versicherung oder an eine Bausparkasse erinnern, sagt Franziska Haas, Sprecherin des BMAS. Der Friseur auf dem Plakat sei ihr Friseur, sagt Haas SZ Dossier. Ihr Ziel: „Ich wollte einmal, dass jemand vor einem Plakat stehen bleibt und es wirklich wahrnimmt.“ Alles, was vorbeirausche, sagt Haas, hinterlasse nichts. Wenn man dagegen Leute höre, die aus ihrem Leben erzählen, könne das etwas bei den Menschen auslösen.
Nach der Logik des Ministeriums wäre es schon ein Erfolg, wenn die Bilder auffallen. Ob es gelingt, dass die Betrachter damit auch jene Botschaft verbinden, die das Ministerium transportieren will? Es wäre ein kleiner Fortschritt in einer Regierungskommunikation, die gemeinhin als – nun ja – ausbaufähig gilt.
Aber woran liegt das eigentlich? Warum fällt es der Bundesregierung so schwer, ihre Erfolge – wenn sie denn welche vorweisen kann – auch entsprechend zu verkaufen? Schließlich arbeiten in jedem Ministerium Kommunikationsprofis genau an dieser Aufgabe, mit dem Bundespresseamt steht sogar ein ganzes Haus dafür zur Verfügung.
Eine Erklärung liegt – abseits des Streits in der Koalition – in den politischen Rahmenbedingungen. Der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte von der Universität Duisburg-Essen wies in einem Interview mit der Zeit schon vergangenes Jahr darauf hin, dass Führung in den „fluiden Fronten“ einer Dreierkoalition schwerer sei als mit zwei Partnern. Olaf Scholz habe zudem das schwächste Wählermandat, das je ein Kanzler hatte, noch dazu sei er immer in der Minderheit, wenn sich Grüne und FDP gegen ihn zusammentun.
Neben den Beschränkungen innerhalb der Koalition, erschweren äußere Faktoren die Kommunikation der Regierung: Komplexität zu vermitteln, wird immer schwieriger, wenn Videos, Reels und Tiktoks immer kürzer werden. Und wenn qua Jobbeschreibung Sachlichkeit gefragt ist, wo andere „pünktliche Züge für uns statt Radwege für Peru“ posten, wie es etwa die AfD macht.
Die Macht über die eigene Sprache bleibt trotz aller Beratung bei den Chefs – bei den Ministerinnen und Ministern und beim Kanzler. Dem hat Korte einmal attestiert, ihn zeichne ein „ausgeprägter Erklär-Geiz“ aus.
Der Kanzler ist damit nicht allein in der Bundesregierung: Zu sehen war das zuletzt etwa in der Generaldebatte im Bundestag vor drei Wochen. Da hielt sich Familienministerin Lisa Paus (Grüne) an ihr Manuskript und referierte, was ihr Haus für Kinder noch so in petto habe, einen „besseren Fachkraft-Kind-Schlüssel“ in Kitas zum Beispiel, außerdem wolle sie „Kitaleitungen stärken, damit sie gute frühkindliche Bildungskonzepte realisieren können“.
Nach ihr trat Dorothee Bär (CSU) ans Pult, sprach frei und sagte, Paus sei jetzt 870 Tage im Amt, „870 Tage nichts erreicht“. Das war prägnant – aber Bär muss auch keine Rücksichten nehmen. Tim Frehler