Was passiert mit der Demokratie, wenn autoritär-populistische Parteien an die Macht kommen? Das „Thüringen-Projekt“ des Verfassungsblogs ist dieser Frage in den vergangenen Monaten nachgegangen und hat, wenige Monate vor der entscheidenden Landtagswahl am 1. September, sehr konkrete Handlungsempfehlungen samt Formulierungsvorschlägen präsentiert.
Das Ziel: Die Thüringer Institutionen sollen resilienter gemacht werden. „Eine Demokratie ist widerstandsfähig, wenn sie vorbereitet ist. Vorbereitet auf Angriffe von Antidemokraten, die Recht und Macht für ihre Zwecke missbrauchen wollen“, sagte Maximilian Steinbeis, Gründer des Blogs und Initiator des Thüringen-Projekts, das durchspielte, was nach der Landtagswahl Realität werden könnte.
Die große Frage: Trauen sich Gesetzgeber und Regierung, vor dem Eindruck der Umfragen die Spielregeln zu ändern, oder ist die Angst zu groß, die AfD würde daraus sogar noch mehr Zuspruch ziehen?
Der Bericht setzt da an, wo es derzeit auch bundespolitisch Überlegungen gibt: beim Verfassungsgericht. Eine Reform der Wahlmechanismen des Thüringer Verfassungsgerichtshofs sei dringend geboten, um zu verhindern, dass eine Minderheit dessen Besetzung blockieren kann, schreiben die Autorinnen und Autoren. Nach der aktuellen Gesetzeslage bleibt ein Richter im Amt, falls dessen Neuwahl blockiert wird – aber es gibt Einschränkungen, etwa das Erreichen der Altersgrenze. Die Stellvertretung ist hier nicht eindeutig geklärt, weshalb der Bericht empfiehlt, Regelungen zur Amtsfortführung und Stellvertretung zu überarbeiten.
Bei anhaltenden Blockaden soll der Verfassungsgerichtshof dazu ermächtigt werden, selbst einen Kandidaten vorzuschlagen und das Parlament dann über diesen Vorschlag mit einer einfachen Mehrheit abstimmen zu lassen. Auch sollen die Amtszeiten der Richter in der Verfassung festgeschrieben und die Möglichkeit der Wiederwahl abgeschafft werden, schlägt der Bericht vor.
Weil die Landeszentrale für politische Bildung derzeit nur auf einer Anordnung der Regierung beruht, empfiehlt der Bericht, sie als teilrechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts auf feste gesetzliche Beine zu stellen. Das würde ihre Unabhängigkeit von aktuellen Mehrheiten garantieren und sie vor politischen Schwankungen schützen.
Zu viel Macht hat laut dem Bericht eine Person: der Ministerpräsident. Er könnte Staatsverträge, auch Rundfunkstaatsverträge, kündigen. Eine Beteiligung des Landtags an solchen Entscheidungen könne die demokratische Kontrolle stärken. Die Thüringer AfD hat Pläne einer Aufkündigung bereits offen diskutiert. Die Autoren empfehlen, Schlüsselpositionen wie Polizei- und Verfassungsschutzpräsidenten sowie Landtagsdirektoren nicht mehr als politische Beamte einzustufen. Stand jetzt könnte der Thüringer Ministerpräsident bestimmte politische Beamte ohne Angabe von Gründen ersetzen, so wie das ähnlich auch im Bund ist.
Auch die Wahl des Landtagspräsidenten müsse betrachtet werden. Derzeit ist es so, dass die stärkste Fraktion das Vorschlagsrecht hat, die Wahl leitet der Alterspräsident. Erst, wenn ein Kandidat zweimal scheitert, können andere Fraktionen Vorschläge machen. Die Expertinnen und Experten befürchten, dass ein autoritär-populistischer Alterspräsident das jedoch anders auslegen könnte und schlägt daher ein transparenteres Vorschlagsrecht vor, das Vorschläge aller Fraktionen explizit vorsieht.
Außerdem plädiert der Bericht dafür, konsultative Volksbefragungen – also Befragungen „von oben“ – in der Verfassung explizit auszuschließen. So soll verhindert werden, dass sie als politisches Instrument missbraucht werden. Direkte Demokratie „von unten“ wäre laut der Autoren weiterhin möglich.
Ein Wahldebakel, wie nach der letzten Thüringer Landtagswahl, als der FDP-Spitzenkandidat Thomas Kemmerich mutmaßlich mit Stimmen der AfD zum Ministerpräsident gewählt wurde – und die Wahl annahm – sollte sich nach Möglichkeit nicht wiederholen. Daher soll laut Empfehlungen künftig offen über den Ministerpräsidenten abgestimmt werden.
„Dem Landtag bleibt nicht mehr viel Zeit, bevor es in die Sommerpause – und den Wahlkampf – geht. Wir haben auf jeden Fall ordentlich Zuspruch bekommen und dementsprechend Hoffnungen, dass sich die demokratischen Fraktionen politisch verständigen werden“, sagte Steinbeis SZ Dossier nach einer internen Vorstellung im Landtag. Gabriel Rinaldi