Am Samstag fliegt der Kanzler zu einem viertägigen Besuch nach China, begleitet von einer hochrangigen zwölfköpfigen Wirtschaftsdelegation. Gleich drei deutsche Minister reisen ihm mit zwei Tagen Abstand hinterher: Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne), Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) und Verkehrsminister Volker Wissing (FDP).
China bekommt das ganze Spektrum der Ampel und damit erstens einen Einblick in deutsche Innenpolitik – und zweitens im Kleinen in die große europäische Debatte über Maß und Ziel der vielleicht allgemein angestrebten, aber längst nicht definierten Reduktion von Risiko und Abhängigkeiten.
„Die Frage von Derisking wird eine starke Rolle spielen, wobei ich etwas kritisch auf die hochrangige Wirtschaftsdelegation schaue, die den Kanzler begleitet“, sagte Stefan Mair, Chef der Stiftung Wissenschaft und Politik. „Ich frage mich, ob das das richtige Signal in Bezug auf Diversifizierung ist.“
China verfolge etwa mit Sorge die Überlegungen in der EU, der Flut subventionierter chinesischer E-Autos mit Strafzöllen zu begegnen, sagte Mair. „Ich glaube nicht, dass sie die Subventionen unmittelbar zurücknehmen, aber man muss klarmachen, dass diese Konsequenzen seitens der EU haben können.“
Der Umgang mit China ist zu einem Quell stetiger Auseinandersetzung geworden. Jüngstes Beispiel: der Schutz kritischer Infrastruktur. Das SPD-geführte Innenministerium möchte die chinesischen Hersteller Huawei und ZTE per Verbot aus dem deutschen Netz verbannen. Dagegen aber wehrt sich FDP-Mann Wissing, dessen Partei im Umgang mit China sonst durchaus resolut ist.
Er aber fürchtet, der Zeitplan des Netzausbaus könne anders nicht mehr eingehalten werden. In China soll es Wissing beim anstehenden Besuch ohnehin ums fahrerlose Fahren gehen. Wenig Gefahr also, dass Wissing sich an das Europawahlprogramm seiner Partei erinnert, in dem steht: „Kritische Technologien dürfen nicht in die Hände von Systemrivalen wie China fallen.“ Bauen dürfen sie sie offenbar.
Es ist gerade einmal fünf Jahre her, dass Scholz, damals Vizekanzler und Finanzminister unter Angela Merkel, bei einem Besuch in China das sonst übliche Treffen mit Menschenrechtsorganisationen wegließ. Vielleicht hatte er es schlicht vergessen; von Gedächtnislücken berichtete er ja mehrfach.
Scholz‘ Umgang mit China offenbart erneut, dass der Kanzler Deutschland als Mittelmacht sieht. Im Wahlkampf sagte er einmal, es sei eine „größenwahnsinnige Illusion“ zu glauben, dass ein Bundestagsbeschluss dazu führen könne, dass sich in China „morgen etwas ändert“. In der SPD hieß es dazu damals, man tanze nun mal mit denen, die im Raum seien.
Wenig Einfluss, das wird auch für Chinas Position zum russischen Krieg in der Ukraine gelten. „Deutschland wird China signalisieren, dass eine weitere Eskalation auch auf die Weltwirtschaft durchschlagen wird, damit auch auf Chinas Wirtschaft“, sagt China-Experte Mair. „Unmittelbar wird sich wenig erreichen lassen, das dient der Sensibilisierung.“
Mit einer pragmatischen Haltung zu China stößt der Kanzler nicht nur in der eigenen Koalition auf Widerspruch, sondern in Europa von mehreren Seiten: von jenen, die sich von China in ihren Sicherheitsinteressen bedroht fühlen wie Länder im Baltikum, von jenen, die selbst in geringeren Volumina mit China handeln und jenen, denen eine relative Schwächung deutscher Industrie nicht ungelegen kommt.
Die Überlegungen, für chinesische E-Auto-Importe Strafzölle zu erheben, geschahen etwa gegen den in Brüsseler Verhandlungen intern deutlich erklärten Willen Deutschlands – „Illusion“ ist mittlerweile gelegentlich sogar, dass ein Kanzlerwort dafür sorgen könnte, dass sich Deutschland in Europa durchsetzt.