Erste volldigitale Uni: Bildung trifft Bürokratie
Christoph Meinel zögert nicht, das Grundproblem zu benennen. „Unsere Gesellschaft in Deutschland ist sehr auf Misstrauen und Kontrolle aufgebaut“, sagt er im Gespräch mit SZ Dossier. „Das ist insbesondere für Innovationen immer schädlich, die vielleicht nicht am ersten Tag nach allen Vorschriften gelingen.“
Gemeinsam mit dem Hochschullehrer Mike Friedrichsen hat Meinel, ehemaliger Leiter des Hasso-Plattner-Instituts, die „German University of Digital Science“ gegründet – kurz German UDS. Es handelt sich um die erste vollständig digitale Universität Deutschlands. Die Vision der zwei Gründungspräsidenten: ein skalierbares, interdisziplinäres Studienangebot für Studierende auf der ganzen Welt – rein digital. „Digital Science ist für uns viel mehr als Informatik“, sagt Meinel. Es gehe um digitale Dimensionen in allen Gesellschaftsbereichen.
Meinel und Friedrichsen starteten 2022. Früh wurde klar: Wer in Deutschland eine Universität gründen will, braucht Geduld. Staatlich anerkannt wurde die German UDS im Februar 2025. „Man stellt zunächst einen Antrag beim Landeswissenschaftsministerium“, erklärt Meinel. Grundlage sei ein strenger Leitfaden des Wissenschaftsrats. Das Dokument habe über 1000 Seiten umfasst.
Im Zentrum: ein umfassender Selbstbericht mit rund 60 Fragen. Dazu Anhänge zu Trägerstruktur, Berufungsverfahren, Prüfungsordnungen, Studiengängen, Finanzierung. „Von einer neuen Universität wird verlangt, dass sie in bereits in der Startphase mindestens 20 Professoren hat“, sagt Meinel. Dabei habe man zu diesem Zeitpunkt noch keine Studierenden. Für staatliche Neugründungen wie die TU Nürnberg gelte diese Anforderung nicht. Angefangen hat die UDS im April mit 20 Studierenden, die Bewerbungsphase dauerte allerdings wegen ungeplanter Verzögerungen im Zulassungsverfahren nur drei Wochen.
Rückblickend beschreibt Meinel das Verfahren als überreguliert und wenig innovationsfreundlich: „Man muss alles nachweisen, bevor man überhaupt etwas anbieten darf – und darf nichts anbieten, bevor man es nachgewiesen hat.“ Die Gründer behandelt worden, als hätten sie keine Ahnung von deutschen Universitäten. „Dass zwei Professoren auf Basis ihrer jahrzehntelangen Erfahrung im Hochschulwesen eine Universität gründen, findet keine Beachtung.“
Zum Problem wurde auch ein regulatorischer Zirkelschluss: Die staatliche Anerkennung erfordert akkreditierte Studiengänge – doch diese dürfen erst akkreditiert werden, wenn die Universität bereits staatlich anerkannt ist. „Das ist nur ein Beispiel für das innovationsfeindliche Umfeld“, sagt Meinel.
Die Finanzierung haben die zwei Gründer getragen und zwei zusätzliche Investoren. Unterstützung durch den Staat gab es keine, getragen wird die UDS von einer gleichnamigen gemeinnützigen Stiftung. Auch von Unternehmen kam wenig. „Viele Unternehmen haben gesagt: Tolle Idee, aber solange ihr gemeinnützig und staatlich nicht anerkannt seid, können wir nichts machen.“
Selbst ein großes Telekommunikationsunternehmen, mit dem die Gründer über Jahre im Gespräch waren, sagte ab. Dabei sei der Bedarf nach Weiterbildung in den digitalen Fächern groß: „Gerade im globalen Süden gibt es viele Menschen, die aus finanziellen Gründen keine Chance auf ein Studium an einer gewöhnlichen Campus-Uni haben“, sagt Meinel. Die jährlichen Gebühren betragen für die vollen Studienprogramme etwa 7 500 Euro, Studierende können aber in ihrer Heimat bleiben.
Über Kooperationen mit Hochschulen in Afrika und Indien will die UDS ihre Kurse auch als Ergänzung zu bestehenden Studienprogrammen anbieten. Die Idee: Module, die zweimal im Jahr stattfinden und dank sogenannter ECTS-Punkte direkt in andere Curricula integriert werden können. Sie sollen darüber hinaus auch für Einzelpersonen und Unternehmen buchbar sein.
Die Struktur der UDS ist digital: ein Campus-Management-System für Administration, ein Lernmanagementsystem für Inhalte. Das Hauptquartier in Potsdam-Babelsberg beinhaltet lediglich Räume für Mitarbeitende und Events, die Technik und ein Studio. Dort sollen die Lehrenden ihre Inhalte aufnehmen.
Anstelle klassischer Klausuren setzt die Universität auf Formate wie kontinuierliche Leistungsnachweise oder projektbasierte Prüfungen. „Bei 10 000 Studierenden können Sie nicht überall einen grünen Haken setzen“, sagt Meinel. „Dann müssen neue Wege her.“ Die Lehrenden haben dabei den Gestaltungsspielraum. Auch hier stießen die Gründer an Grenzen: „In der Akkreditierung hieß es: Ein Modul braucht eine Prüfung und die müsse genau definiert sein.“ Dabei sei die Idee, genau das aufzubrechen.
Vieles ist noch im Aufbau, etwa digitale Zeugnisse. Langfristig sollen sie als verifizierbare Datensätze vergeben werden, die in der Cloud der Universität liegen. Die Universität versteht sich laut Meinel auch als Forschungslabor für neue Prüfungsformate und Plattformtechnologien sowie digitale Didaktiken.
„Eigentlich hätte man erwarten müssen, dass in einem System mit weitgehend staatlichen Universitäten die ganze Initiative vom Staat hätte kommen sollen“, sagt er. „Aber wir machen es jetzt. Mit privatem Geld, in einem System, das solche Innovationen eher bremst, statt fördert.“ Der nächste Studienstart ist im Oktober. Ob sich mehr Studierende finden, wird sich zeigen. Gabriel Rinaldi