Wie das BSW noch Stimmen finden will
Schnurstracks betrat Amira Mohamed Ali gestern das Paul-Löbe-Haus. Sie war schon in der kleinen Eingangshalle des Südportals angekommen, da musste sie noch einmal umdrehen: Sicherheitskontrolle, sie ist ja keine Abgeordnete mehr. Durch die Schleuse musste auch der braune Karton, den die Parteichefin des BSW mitgebracht hatte. An seinen Inhalt (und den zweier weiterer, die BSW-Mitarbeiter im Arm hatten) knüpft Mohamed Ali ihre politische Karriere – und die ihrer Partei.
In den Paketen befand sich der Einspruch, den das BSW beim Wahlprüfungsausschuss gegen die Gültigkeit der Bundestagswahl eingelegt hat und mit dem die Partei eine komplette Neuauszählung erreichen will. Dem BSW fehlten am 23. Februar gut 9500 Stimmen, um in den Bundestag einzuziehen. Hätte die Partei mit ihrem Einspruch Erfolg und würden bei einer Neuauszählung tatsächlich die fehlenden Stimmen gefunden, wären die Folgen immens: Eine Koalition aus Union und SPD hätte voraussichtlich keine Mehrheit mehr, wenn das BSW im Bundestag vertreten wäre.
Damit der Einspruch jedoch Erfolg hat, müsse die Partei konkret darlegen, dass es zu Fehlern gekommen und das Wahlergebnis dadurch falsch festgestellt worden sei, sagt Sophie Schönberger, Professorin für Öffentliches Recht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. „Es gibt keine Nachzählung auf Verdacht.“ Bei Massenvorgängen wie einer Wahl könne es nun einmal zu Fehlern kommen, deswegen werde das Ergebnis ja in mehreren Schritten kontrolliert, sagt Schönberger. „Die Fehler können aber auch beim Nachzählen passieren. Und deswegen reicht es nicht zu sagen: ,Mir passt das Ergebnis nicht, zählt bitte noch einmal nach.‘“
Auch aus dem Sekretariat des Wahlprüfungsausschusses des Bundestages heißt es auf Anfrage, ein Einspruch habe dann Aussicht auf Erfolg, wenn der Einspruchsführer „in substantiierter Weise Tatsachen vorträgt, die einen Wahlfehler begründen können. Nicht belegte Vermutungen oder die bloße Andeutung der Möglichkeit von Wahlfehlern sind dafür nicht ausreichend.“
Die Frage ist, worauf das BSW seinen Einspruch stützt. Wagenknecht und ihre Mitstreiter führen mehrere Punkte an. Beim ersten geht es im Wesentlichen um Verwechslungen, etwa zwischen dem BSW und Kleinstparteien wie dem Bündnis Deutschland. „Das Kreuz wurde beim BSW gemacht, aber die Stimme wurde fälschlicherweise einer anderen Partei zugeordnet“, sagte Mohamed Ali gestern.
So wird in dem Wahleinspruch, den das BSW gestern verschickt hat, für Bayern hergeleitet, dass sich mitunter Wahlbezirke mit überdurchschnittlich hohem Ergebnis für das Bündnis Deutschland decken mit Wahlbezirken „in denen das BSW gleichzeitig null Stimmen haben soll“. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit seien das Wahlbezirke, in denen das amtliche Endergebnis noch nicht korrigiert wurde, heißt es weiter.
Außerdem habe etwa die Neuauszählung eines Wahlbezirkes in Mettmann in Nordrhein-Westfalen ergeben, dass dort alle 14 Stimmen für das Bündnis Deutschland im vorläufigen Endergebnis falsch zugeordnet wurden, „weil es BSW-Stimmen sind“. Eine Vielzahl solcher Auffälligkeiten sei im amtlichen Wahlergebnis noch enthalten, schreibt das BSW.
Zudem gebe es viele Beispiele dafür, dass auch unter jenen Stimmen, die als ungültig gewertet wurden, Stimmen für das BSW seien, heißt es in einem „Fact-Sheet“ der Partei. Die seien etwa dadurch entstanden, dass Wähler ihr Kreuz beim Bündnis Deutschland gemacht hätten, dies aber durchgestrichen und stattdessen das BSW angekreuzt hätten. Nach Ansicht des BSW sei der Wählerwille dadurch klar zum Ausdruck gekommen.
Generell geht man beim BSW davon aus, dass sich überall noch Stimmen für die Partei verbergen könnten. Wieso? Zwischen vorläufigem und amtlichem Endergebnis habe es in gut 50 Wahlbezirken komplette Neuauszählungen gegeben, sagte Mohamed Ali gestern. In der Bilanz seien dabei 15 zusätzliche Stimmen für ihre Partei herausgekommen. Wenn man das auf die etwa 95 000 Wahlbezirke in Deutschland hochrechne, merke man, „dass da noch Zehntausende Stimmen potenziell fürs BSW schlummern“.
Ob das alles ausreicht, muss der Wahlprüfungsausschuss klären. Den gibt es aber für die 21. Wahlperiode noch nicht, das Plenum muss ihn erst wählen. Danach erarbeiten seine Mitglieder eine Beschlussempfehlung, über die dann der Bundestag abstimmt. Bis dahin könnte es noch eine Weile dauern. Zwischen dem Wahltermin der Bundestagswahl 2021 und der Entscheidung des Parlaments, diese in mehr als 400 Berliner Wahllokalen zu wiederholen, verging mehr als ein Jahr.
Sollte der Einspruch des BSW abgelehnt werden, hat die Partei die Möglichkeit, Wahlprüfungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht einzureichen. Dass es vor dem Gang nach Karlsruhe die Schleife über den Wahlprüfungsausschuss des Bundestages braucht, hält Sophie Schönberger „nicht für besonders sinnvoll“. Der Bundestag sei nicht das Gremium, das dafür ausgerichtet sei, solche Ermittlungen zu machen. „Und wenn eine Sache wirklich streitig ist, landet sie ohnehin vor dem Bundesverfassungsgericht.“ Insofern wäre es sinnvoller, es gäbe einen direkten Weg nach Karlsruhe, sagt Schönberger.
Für das BSW gibt es aber noch ein anderes Problem: Es sei ja klar, dass „keine der im Bundestag vertretenen Parteien ein Interesse daran haben kann, dass das BSW in den Bundestag kommt, weil es sie Mandate kosten wird“, sagte Mohamed Ali. Daher nutzte sie ihren Auftritt für einen Appell: Die Abgeordneten könnten nun zeigen, dass die „Demokratie ihnen wichtiger ist als ihre eigenen Mandate“. Erst einmal sind jetzt also die anderen dran. Tim Frehler