Aus der Fleischerei in den Bundestag
Es gibt da dieses Video von Nora Seitz, darin sagt sie einen Satz, den sie in ihrem neuen Beruf nicht mehr so häufig sagen wird, hoffentlich zumindest. „Das Blut wird jetzt hoffentlich schon langsam warm“, lautet er.
Zur Einordnung: Seitz ist Fleischermeisterin. Der kurze Film des MDR zeigt sie in ihrem Betrieb in Chemnitz, sie trägt eine weiße Mütze und eine weiße Schürze. Und das Blut, das da gerade langsam wird, braucht sie, um Blutwurst zu machen.
Doch seit Kurzem hat die 40-Jährige einen neuen Job: Sie sitzt fortan für die CDU im Deutschen Bundestag. Angesichts ihrer Biografie ist sie dort eine Rarität. Laut Berechnungen von Zeit Online stellen nach wie vor Juristinnen und Juristen die größte Berufsgruppe im Parlament. Knapp jeder fünfte Abgeordnete hat einen rechtswissenschaftlichen Hintergrund.
Handwerksmeister gibt es hingegen nur sechs im Parlament, vier von ihnen stellt die AfD. Neben Seitz gehört aus der Union noch der CSU-Metzgermeister Alois Rainer zu diesem Kreis. Insgesamt 41 Abgeordnete mit handwerklichem Hintergrund oder einer Nähe zum Handwerk zählt die Deutsche Handwerkszeitung.
Das sei ein Problem, findet Nora Seitz. „Wir haben zu lange zugelassen, dass zu viele, die nichts damit zu tun haben, Politik für kleine Handwerksunternehmen machen“, sagt sie. Politikwissenschaftler und Juristen wüssten zwar, wie man ein Gesetz schreibt. „Aber die begreifen nicht, was unten ankommt.“
Also packt sie nun selbst an. Anpacken ist ohnehin etwas, was ihren Lebenslauf kennzeichnet: Seitz wurde 1984 in Chemnitz geboren, das damals noch Karl-Marx-Stadt hieß. Sie hat nicht die klassische Politik-, sondern die klassische Handwerkskarriere hinter sich – Gesellin, Meisterin, Betriebswirtin. Sie komme nicht aus der Kommunal- oder Landespolitik, habe auch nicht für einen Abgeordneten gearbeitet. Auch bei der Jungen Union sei sie nicht gewesen. „Ich bin eigentlich für die CDU völlig untypisch“, sagt Seitz.
Zur Politik kam sie über ihr Ehrenamt: Seit 2016 ist sie Vizepräsidentin des Deutschen Fleischerverbandes, seit 2020 Landesinnungsmeisterin des sächsischen Fleischerinnungsverbandes. Zwar tritt sie 2009 der CDU bei, so richtig politisch aktiv wurde sie aber erst elf Jahre später, zu Beginn der Corona-Pandemie. Da ging es darum, ob Fleischereien systemrelevant und Teil der kritischen Infrastruktur sind und öffnen dürfen.
Viele Kollegen hätten sie damals angerufen und berichtet, ihre Geschäfte würden geschlossen. Seitz habe dann mit den Büros des Ministerpräsidenten, des Wirtschafts- und des Sozialministers telefoniert. Später sei das Problem auch in anderen Bundesländern aufgetaucht, der Deutsche Fleischerverband habe sich eingeschaltet. „Am nächsten Tag hatten wir die vorläufige Erlaubnis, aufmachen zu dürfen.“
Was die Wunschliste für die Ausschüsse im Bundestag anbelangt, hat sie Arbeit und Soziales als erste Wahl angegeben. Bürokratie, der Mindestlohn, die Nachfolge in Unternehmen, das sind Themen, die sie umtreiben. Generell die Haltung zur Arbeit: In der Zeit sprach sie sich 2022 einmal vehement gegen das Bürgergeld aus, weil es die Menschen „fürs Zuhause bleiben“ belohne und ihnen das Arbeiten „madig“ mache. Ihr geht es stattdessen darum, „jungen Leuten Lust zu machen, sich selbstständig zu machen, Betriebe zu übernehmen und Ideen zu entwickeln.“ Ihre Devise lautet daher: „Einfach mal machen und cool sein und dynamisch sein.“
Im Bundestag wird sie künftig in einer Fraktion arbeiten, in der Frauen nicht einmal ein Viertel der Mitglieder stellen. 160 Männer und 48 Frauen finden sich in den Reihen von CDU und CSU im Bundestag, nur sechs der Frauen kommen aus Ostdeutschland. Diesen Blick auf die CDU würde sie gerne ändern, sagt Seitz. Schließlich gebe es in der Union viele „coole Macherinnen“, die fielen nur manchmal zu wenig auf, „vielleicht auch ein bisschen, weil sie so wenige sind“, sagt sie. Ihrer Meinung nach sollten Frauen wie Nina Warken, Gitta Connemann, Christina Stumpp oder Dorothee Bär weiter nach vorn gestellt werden. Wie bei allem gelte: „Tue Gutes und sprich darüber.“
Solange die Koalitionsverhandlungen noch laufen, hat Nora Seitz noch Zeit, sich mit ihrem Team vorzubereiten und im Leben einer Abgeordneten anzukommen. Natürlich sei sie aufgeregt, mache sich Druck. „Dadurch entsteht viel Stress in meinem Kopf.“ Es sei immer ihr Anspruch gewesen, einen Job bestmöglich, „also mit 100 Prozent“ zu machen.
Die Fleischerei, die ihre Familie in vierter Generation auf dem Chemnitzer Sonnenberg betreibt, gehört ihrer Mutter Elke. Eigentlich sei sie auch schon raus, sagt Nora Seitz, aber so ganz dann auch wieder nicht. Gerade sei es so: Ihre Mutter wecke sie um 4:15 Uhr, so könne sie sich zwischen halb fünf und neun noch um die Fleischerei kümmern: Rechnungen schreiben, Temperaturlisten auswerten – oder Wurst machen, dabei könne sie abschalten.
„Da fliege ich ja im Autopilot. Das ist etwas, was ich kann, da arbeite ich mit meinen Händen, da mache ich etwas Praktisches“, sagt sie. „Und ab neun Uhr bin ich dann Berufspolitikerin.“ Ob sie das so weiter mache in Zukunft? „Das werden wir sehen.“ Tim Frehler