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Tiefgang

Und ewig grüßt die Haushaltslücke

Prioritäten setzen, das hat Friedrich Merz im Wahlkampf gefordert. Und darum wird es ab heute in den Koalitionsverhandlungen gehen, denn die Ergebnisse der bisherigen Beratungen in den Arbeitsgruppen sind nach Ansicht von Experten unfinanzierbar. Daran ändern auch die Grundgesetzänderungen der vergangenen Woche nichts, die höhere Schulden für zusätzliche Investitionen und für die äußere Sicherheit erlauben.

Die Grundgesetzänderungen bedeuten für den Bundeshaushalt nach Rechnung von Jens Boysen-Hogrefe vom IfW Kiel einen zusätzlichen Spielraum von etwa 20 Milliarden Euro im Jahr – das decke allenfalls die Lücken in der bisherigen Finanzplanung. „Schon was im Sondierungspapier steht, ist nicht finanzierbar“, sagt Boysen-Hogrefe. Steuerexperte Stefan Bach vom DIW veranschlagt diese erste Einigung von Union und SPD auf 60 Milliarden Mehrausgaben beziehungsweise Mindereinnahmen.

Inzwischen haben die Arbeitsgruppen deutlich draufgesattelt. Manchmal sind es nur ein paar Millionen, etwa für die Förderung von Kinos. Manchmal aber auch zweistellige Milliardenbeträge wie zur Unterstützung der Krankenkassen. Ohne drastische Einsparungen – schwierig, weil viele Ausgaben gesetzlich festgeschrieben sind – oder höhere Steuern ließe sich die Liste nicht stemmen. Denn für den größten Teil des Haushalts gilt weiterhin die Schuldenbremse und für alles die gerade verschärften europäischen Fiskalregeln.

Die erste Grundentscheidung, die die Verhandler wohl treffen müssen, ist, auf welcher der drei großen Baustellen man zuerst tätig wird: Stärkung der Wirtschaft durch Entlastung der Unternehmen, Entlastung der Mittelschicht etwa bei der Einkommensteuer und drittens Reparatur von aufgelaufenen Problemen. Punkt drei wird teilweise durch die zusätzlichen Investitionen gelöst. Aber bessere Kinderbetreuung einschließlich Ganztagsbetreuung sind nun einmal laufende Kosten. Und Länder und Kommunen werden das nur leisten können, wenn der Bund hilft.

Bei Punkt eins – der Konjunkturförderung – scheint die Einigkeit bisher am größten. „Dass man die Unternehmen entlastet, ist weitgehend Konsens“, sagt Bach. „Die Unternehmenssteuern zu verringern erscheint mir plausibel, da sind die Steuern höher als im internationalen Vergleich“, meint Boysen-Hogrefe. Zwar ist die SPD bei einer Senkung der Körperschaftsteuer noch zurückhaltend, aber über kurzfristige höhere Abschreibungen besteht Konsens. Außerdem soll Strom billiger werden und die gebeutelte Automobilindustrie kann mit einer Prämie für Elektroautos rechnen.

Wenn es um die berühmte „hart arbeitende Mitte“ geht, müssen die Koalitionäre auf Steuern und Sozialabgaben gleichzeitig achten. Die allgemeine Entlastung durch Erhöhung des Grundfreibetrags zum 1. Januar wird bei der Mehrzahl der Arbeitnehmer durch die erhöhten Krankenkassen- und Pflegebeiträge aufgefressen. „Bis zu einem Jahresgehalt von über 70.000 Euro zahlt ein Alleinstehender mehr Sozialabgaben als Steuern“, sagt Katja Rietzler vom Institut IMK der Hans-Böckler-Stiftung. Wenn die Lohnsteuer gesenkt wird, viele aber gleichzeitig höhere Beiträge zahlen, ändert sich das Nettogehalt auf der Gehaltsabrechnung nicht – und die Bürger fühlen sich nicht entlastet.

Die Arbeitsgruppe Gesundheit hat daher vorgeschlagen, den Steuerzuschuss für die Krankenkassen von derzeit rund 14,5 Milliarden Euro um mindestens zehn Milliarden Euro im Jahr zu erhöhen. Dann könnten dort die Beiträge etwas sinken. Rietzler empfiehlt, im Gesundheitswesen auch zu sparen, indem man die Effizienz erhöht. Boysen-Hogrefe sieht Sparpotenziale bei der Rente: „Den Bundeszuschuss an die Krankenversicherung zu erhöhen, ist sinnvoll. Für die Finanzierung könnte die abschlagsfreie Frühverrentung (Rente mit 63) eingeschränkt werden. Dies würde die Möglichkeit schaffen, den Bundeszuschuss zur Rente bis hin zu einem zweistelligen Milliardenbetrag zu senken.“ Schließlich, so beide Ökonomen, gehe es auch um die Fachkräfte, die man etwa für die geplanten Investitionen oder in der Rüstung braucht.

Um wenigstens einen Teil der vielen Vorhaben zu ermöglichen, zeichnen sich Finanzierungstricks ab. So soll die bundeseigene Autobahn GmbH eine „begrenzte Kreditfähigkeit“ erhalten. Schulden staatseigener Betriebe wie etwa der Bahn fallen nicht unter die Schuldenbremse. Die Autobahngesellschaft soll dafür Einnahmen aus der Lkw-Maut bekommen. Langfristig könnte man die Autobahnen dann auch durch eine Pkw-Maut finanzieren. Die Senkung der Stromsteuer oder der Netzentgelte könnte aus dem Klimafonds KTF bezahlt werden.

Und wenn am Ende alles nichts hilft, gibt es ja noch die Mehrwertsteuer. „Das ist der Elefant im Raum“, sagt Bach. Ein Punkt mehr beim Regelsatz von derzeit 19 Prozent bringe knapp 16 Milliarden Euro, 13 Milliarden Euro würde der Staat gewinnen, wenn der ermäßigte Satz von sieben Prozent nur noch für Lebensmittel gelten würde. „Eine Mehrwertsteuererhöhung zur Gegenfinanzierung würde zwar den Konsum treffen und wäre unpopulär, aber die Stärkung der Konkurrenzfähigkeit wäre wichtiger“, so Boysen-Hogrefe. Was immer am Ende beschlossen wird, es dürfte den Bürgerinnen und Bürgern nicht einfach zu erklären sein.