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Tiefgang

Die offenen Fragen des Finanzpakets

Danyal Bayaz, Baden-Württembergs grüner Finanzminister, spricht mit Blick auf das Finanzpaket, das der Bundesrat heute mit Zweidrittelmehrheit beschließen soll, von einem „Vorschusspaket“. Einem Vorschuss, den die schwarz-rote-Koalition jetzt erhält – und dem, geht es nach Bayaz, noch einiges zu folgen hat.

Seine Diagnose geht so: Im Vorfeld der Agenda 2010 habe damals jede und jeder in Deutschland gespürt, dass etwas passieren müsse. „Und jetzt sehen wir wieder Risse in unserem Geschäftsmodell, aber es herrscht noch immer das Gefühl vor, wir könnten weiter business as usual machen.“ Daher müsse das Geld aus dem Schuldenpaket nun wirklich „zielgerichtet, zukunftsorientiert und vor allem zusätzlich“ investiert werden, sagt Bayaz.

Geld allein kann die Probleme aber nicht lösen. Ein Beispiel: Baden-Württemberg schiebe im Moment mehr als zehn Milliarden Euro an Ausgabenresten vor sich her. „Das sind Mittel, die nicht abfließen“, sagt Bayaz. Die Gründe dafür seien im Einzelfall stets nachvollziehbar – mal fehle eine Genehmigung, mal die Handwerker. „Aber wenn man da einfach mehr Geld obendrauf schüttet, steigen entweder die Ausgabenreste oder die Preise bei der Beschaffung.“ Heißt: „Wir müssen schneller werden.“ Das Beispiel der LNG-Terminals habe gezeigt, was in Sachen Genehmigungen möglich sei. „Und dieses Deutschlandtempo brauchen wir jetzt bei den drängenden Projekten.“

Seiner Ansicht nach geht es aber auch darum, in das Richtige zu investieren. „Wir können jetzt nicht nur über Waffen und Beton sprechen. KI, Quantentechnologie und Biotech sind die Bereiche, mit denen wir in Zukunft wettbewerbsfähig sein müssen.“

Vor allem mit Blick auf die Länder wirft das Finanzpaket aber noch Fragen auf. Sie sollen 100 Milliarden aus dem Sondervermögen erhalten. Unklar ist aber, wie die verteilt werden. „Wahrscheinlich nach dem Königsteiner Schlüssel“, sagt Bayaz. Offen sei dann aber noch, wofür die Länder sie einsetzen dürften.

Ähnlich verhält es sich mit der Möglichkeit zur Verschuldung: Die Länder sollen – wie der Bund – die Möglichkeit erhalten, neue Schulden in Höhe von 0,35 Prozent des Bruttoinlandsproduktes aufzunehmen. Der Gesetzentwurf bezieht sich dabei aber auf „die Gesamtheit der Länder“. Auch hier wird sich also die Frage stellen, wie das Ganze auf die einzelnen Länder heruntergebrochen wird. Man könne dafür das jeweilige BIP nehmen oder die Zahl über den Steueranteil der Länder berechnen, sagt Bayaz. Ist ersteres der Fall, wäre der Spielraum für Baden-Württemberg größer, bei zweiterem wäre er kleiner, sagt der Minister. Die Frage kann also noch zu einem Politikum werden. Geregelt werden soll sie am Ende in einem Bundesgesetz.

Bayaz treibt aber noch eine Sorge um: die Frage, wie stark die Länder wirklich von dem Finanzpaket profitieren: Schließlich koste allein die Senkung der Mehrwertsteuer auf Speisen in der Gastronomie das Land Baden-Württemberg jedes Jahr 400 bis 500 Millionen Euro.

Auch die Aushandlungsprozesse zwischen Bund und Ländern könnten sich in Zukunft verändern – zum Nachteil der Länder, fürchtet Bayaz. Bei Projekten wie dem Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in Grundschulen oder beim Deutschlandticket geht es immer wieder darum, wer welchen Anteil davon bezahlt. Er hält es für möglich, dass der Bund sich hier in Zukunft weiter zurückzieht mit dem Verweis darauf, dass die Länder sich nun auch verschulden dürften.

Für die Grünen im Bund wird das Finanzpaket wohl die vorerst letzte Möglichkeit gewesen sein, in derartigem Umfang die Geschicke des Landes mitzubestimmen. Für sie steht nun der Gang in die Opposition an und damit die Frage, welche Partei sie in Zukunft sein wollen – und wer darin den Ton angibt. Er erwarte, sagt Bayaz, dass sich der Fokus nun auch auf Landespolitiker wie Winfried Kretschmann, Katharina Fegebank oder Mona Neubauer richten werde.

Und was den Kurs anbelangt, ist Bayaz vom Pfad der Mitte überzeugt. Die Grünen nach links zu rücken, weil bei der Bundestagswahl viele Wählerinnen und Wähler zur Linken wanderten, wäre „die völlig falsche Richtung“, sagt Bayaz. Er führt das schwache Abschneiden seiner Partei auf die „Ampelperformance“ zurück. „Wir haben im Laufe der Legislatur unser Wählerpotential mehr als halbiert. Da ist es natürlich klar, dass man das in wenigen Wochen Wahlkampf nicht reparieren kann.“

In Baden-Württemberg ist die Lage eine andere als im Bund: Hier regieren die Grünen, stellen den Ministerpräsidenten und mit Cem Özdemir einen prominenten Bewerber für die Kretschmann-Nachfolge bei der Landtagswahl im März nächsten Jahres. In Umfragen liegen die Grünen allerdings momentan mit deutlichem Abstand hinter der CDU.

Wie seine Partei das drehen will? „Wir werden einen Baden-Württemberg-Wahlkampf machen“, sagt Bayaz. Wirtschaftspolitik werde ein zentrales Thema sein. Außerdem komme es darauf an, den Leuten nicht nur nach dem Mund zu reden, das bedeute, sich auch bei schwierigen Themen wie Migration Differenzierung zuzumuten. „Wir brauchen mehr Einwanderung und Arbeitsmigration, gleichzeitig müssen wir die irreguläre Migration spürbar zurückdrängen“, sagt Bayaz. Tim Frehler